In Ägypten läuft nach dem Untergang der „Sea Story“ die Rettungsaktion. Viele Fragen sind noch offen. Vor allem ein Faktor ist entscheidend.
Die „Sea Story“ ist nach bisherigem Kenntnisstand rund 85 Kilometer vor der Küste auf dem Roten Meer am frühen Montagmorgen gegen 3.30 Uhr von einer Welle getroffen worden, umgekippt und binnen Minuten voll Wasser gelaufen.
Egal, ob das Schiff vor Anker lag oder fuhr: Auf der Brücke sollte rund um die Uhr jemand sein, der zumindest Wache hält. Diese Person müsste als Erstes einen Notruf absetzen. Dazu reicht es auf modernen Schiffen, einen von einer Klappe geschützten roten Knopf am Funkgerät einige Sekunden lang zu drücken. Dadurch werden die zuständigen Seenotstellen und die Schiffe der Umgebung über den Notfall benachrichtigt, und zwar inklusive der exakten Position des Schiffes. Bei der „Sea Story“ dauerte es allerdings nach Recherchen des stern mehr als sechs Stunden, bis die ersten Schiffbrüchigen aus dem Meer gerettet wurden. Im Folgenden beschreiben wir, wie die Rettung im Idealfall hätte ablaufen sollen.
Notruf
Die zuständige Seenotstelle – für Deutschland sitzt die Seenotleitung in Bremen (Maritime Rescue Co-ordination Centre MRCC) – würde sich daraufhin per Funk melden, den exakten Notfall erfragen und schauen, welche Schiffe in der Nähe sind. Alle Berufsschiffe und auch viele Sportboote senden via Automatic Identification System (AIS) permanent Informationen wie etwa Name, Größe und Art des Schiffes sowie exakten Standort, Geschwindigkeit und Fahrtrichtung und sind dadurch permanent und schnell zu orten. Wenn die Schiffe in der Nähe nicht von sich aus schon Kurs auf die Unglücksstelle genommen haben, fordert die Seenotstelle sie zur Unterstützung des Rettungseinsatzes auf. Die meisten Tauchsafarischiffe in Ägypten verfügen allerdings nicht über ein AIS oder stellen es nicht an.
Rettungseinsatz und Suchgebiet
An Bord alarmiert die Crew möglichst alle Passagiere und bereitet sie auf das Verlassen des Schiffes vor. Im Idealfall bleibt noch Zeit, warme Kleidung und Rettungswesten anzulegen sowie in eine der Rettungsinseln überzusteigen. Eine Rettungsinsel ist eine Art sich selbst aufblasendes Gummi-Floß mit Zeltdach, das vor Sonne und Wellen schützt. In der Rettungsinsel sollten auch Nahrung und Trinkwasser sowie Leuchtraketen vorhanden sein. Außerdem funkt sie automatisch ein Notsignal. Überlebende anderer Havarien im Roten Meer sagen allerdings, dass es entweder gar keine Rettungsinseln gab oder all diese wichtigen Ausrüstungsgegenstände gefehlt hätten. Hätte eine Rettungsinsel der „Sea Story“ ein solches Signal gesendet, hätten die Suchtrupps sie binnen kürzester Zeit finden müssen.
Die Seenotstelle koordiniert den Rettungseinsatz und errechnet ein Suchgebiet: Wohin werden Menschen oder Rettungsinseln im Wasser bei den aktuellen Wind- und Strömungsverhältnissen getrieben? Ausgehend vom Ort des Unglücks ist das Suchgebiet ein Dreieck, das die am Einsatz beteiligten Schiffe in engen Abständen abfahren und dabei Ausschau nach Schiffbrüchigen halten. Wenn das Wetter es zulässt, unterstützen Flugzeuge und Hubschrauber die Suche aus der Luft. Jemanden im Wasser zu entdecken, ist bei Helligkeit und wenig Wellengang natürlich einfacher als bei Dunkelheit und hohen Wellen wie beim Unglück in Ägypten. Bei der Suche ist der Faktor Zeit entscheidend: Je mehr Zeit nach dem Unglück vergeht, desto weiter treiben Schwimmer und entsprechend größer wird das Suchgebiet. Je schneller die Suche beginnt, desto einfacher ist es, jemand im Wasser zu finden und desto besser sind die Überlebenschancen. Im Falle der „Sea Story“ rief der ägyptische Verband der Tauchindustrie, CDWS, Schiffe in der Umgebung erst rund drei Stunden nach dem Untergang des Schiffes auf, nach Überlebenden zu suchen.
Unterkühlung selbst bei relativ warmem Wasser
Der Faktor Zeit spielt auch bei einer anderen Gefahr für die Überlebenden eine entscheidende Rolle: der Unterkühlung. Auch bei relativ hohen Wassertemperaturen wie im Roten Meer kühlen Menschen im Wasser aus. Die Leistung der Muskeln lässt nach, und irgendwann sind keine Schwimmbewegungen mehr möglich. Auch bei wärmeren Wassertemperaturen um 20 Grad Celsius wie jetzt in Ägypten droht im offenen Meer ein Herzstillstand wegen schwerer Unterkühlung. Wie bald dieser Zustand eintritt, hängt auch von der Bekleidung ab. Ein Mensch in einem Neoprenanzug kühlt langsamer aus als jemand, der – wie wohl beim Unglück in Ägypten – in leichter Schlafbekleidung ins Wasser springt oder fällt.
Sea Story FAQ 16.40Sieben Menschen von Bord der „Sea Story“ werden aktuell noch vermisst. Die Chancen, sie nach der inzwischen zweitägigen Suche noch lebend zu finden, sinken – obwohl der Mensch mehrere Tage ohne Trinkwasser überleben kann.
Sollten Menschen nicht mehr rechtzeitig aus ihren Kabinen gekommen sein, sind sie möglicherweise in dem voll Wasser gelaufenen, gekippten Schiff ertrunken. Laut den ägyptischen Behörden trieb die aus Holz gebaute „Sea Story“ am Dienstag immer noch an der Oberfläche. Nach noch nicht offiziell bestätigten Informationen sollen Rettungstaucher mindestens drei Menschen in einer Luftblase im Bauch der Yacht lebend geborgen haben.
Quellen:Deutsche-Lebens-Rettungs-Gesellschaft zu Unterkühlung im Wasser (PDF), „tauchliebe.de“ über Haiarten im Roten Meer, „aroundworld.de“ zu Haien im Roten Meer, floridamuseum.ufl.edu mit Karte zu Haiangriffen.