Mit einem hochumstrittenen Personaltableau kann Ursula von der Leyen nun voraussichtlich in ihre zweite Amtszeit starten. Die dürfte nicht einfach werden.
Nach zähem Streit stimmt das Europaparlament heute über die Besetzung der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ab. Zuvor hatten bereits die Ausschüsse des Parlaments grünes Licht für die 26 Kommissarinnen und Kommissare gegeben. Stimmt auch das Plenum wie erwartet zu, kann die neue EU-Kommission am 1. Dezember ihre Arbeit aufnehmen.
Große Herausforderungen für neue EU-Kommission
Erwartet wird, dass Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer zweiten Amtszeit andere Schwerpunkte setzt als bisher. War bei ihrem Antritt 2019 die Klimakrise eines der treibenden Themen, dürften nun andere Probleme in den Fokus rücken: Mit den Kriegen in der Ukraine und in Gaza, dem Amtsantritt von Donald Trump in den USA und dem schwelenden Handelsstreit mit China steht die EU vor der großen Frage, wie sie wettbewerbsfähig und wehrhaft bleiben kann.
Ein Zeichen für diese veränderten Schwerpunkte setzt von der Leyen mit der Schaffung des neuen Postens des Verteidigungskommissars. Litauens Ex-Ministerpräsident Andrius Kubilius soll künftig dafür sorgen, dass Europa militärisch unabhängiger wird und leichter in europäische Rüstungsprojekte investiert werden kann.
Der Krieg in der Ukraine dürfte auch die Estin Kaja Kallas beschäftigen: Als neue Chefdiplomatin der EU wird sie sich damit befassen müssen, dass die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg derzeit schwächelt – während die EU in anderen Konflikten wie etwa im Nahen Osten nur wenig Einfluss geltend machen kann.
Neben den sicherheitspolitischen Herausforderungen gilt es, die EU krisensicher im Wettbewerb mit China oder den USA zu machen. Der designierte EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič erbt einen Handelskonflikt mit China: Die EU wirft Peking Wettbewerbsverzerrung durch Subventionen vor und beschloss im vergangenen Monat Extrazölle auf chinesische E-Autos. China prüft derzeit Gegenmaßnahmen, von denen auch deutsche Autobauer betroffen sein könnten.
Ein Dauerbrenner bleibt auch der Kampf gegen unerwünschte Migration. Der bisherige österreichische Finanzminister Magnus Brunner wird als neuer Kommissar dafür verantwortlich sein, den heiß umkämpften Migrationspakt umzusetzen. Das wird nicht einfach, da das Thema immer wieder für Uneinigkeit zwischen den Ländern sorgt – zuletzt hatte etwa Deutschland mit vorübergehenden Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen eine Debatte ausgelöst.
Von der Leyen überraschte mit Nominierungen – und sorgte für Streit
Die Abstimmung erfolgt knapp sechs Monate nach der Europawahl, bei der Ursula von der Leyens Mitte-Rechts-Bündnis EVP die meisten Stimmen bekam. Sie wurde daraufhin im Juli für ihre zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin bestätigt und hatte ihr Wunschteam im September vorgestellt. Für besonderes Aufsehen sorgte die Nominierung des Italieners Raffaele Fitto, der künftig unter anderem für Reformen zuständig sein soll – also auch für den Europäischen Sozialfonds und einen Fördertopf für regionale Entwicklung. Zwar gilt der Rechtspolitiker vielen in Brüssel als politisch gemäßigt und proeuropäisch. Die Sozialdemokraten im Parlament wehrten sich aber heftig dagegen, dass ein rechter Politiker aus der Regierung von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine herausgehobene Position wie die des Vizepräsidenten bekommt.
Im Gegenzug blockierte die EVP, der auch CDU und CSU angehören, zunächst die Berufung der Sozialistin Teresa Ribera als Kommissarin für Wettbewerbspolitik und grünen Wandel. Konservative und rechte Abgeordnete werfen der derzeitigen spanischen Umweltministerin Versagen bei den schweren Überschwemmungen in der Region Valencia vor. Letztlich einigten sich die großen Fraktionen im Parlament nach langen Verhandlungen jedoch, sodass sowohl Fitto als auch Ribera nun wohl ihr Amt antreten können.
Umstritten war auch der Ungar Oliver Varhelyi, der wegen seiner Loyalität gegenüber dem autoritär regierenden ungarischen Ministerpräsidenten Orban in der Kritik steht. Die großen Fraktionen einigten sich letztlich darauf, Teile seines Portfolios Gesundheit und Tierschutz anderen Kommissaren zu übertragen – nach dpa-Informationen etwa jene zur sexuellen Diskriminierung und Selbstbestimmung. Kritiker werfen Orban vor, die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten in Ungarn beschnitten und unter anderem das Abtreibungsrecht verschärft zu haben.
Die EU-Kommission mit einem Apparat von rund 32.000 Mitarbeitern schlägt als einzige Institution in der Europäischen Union Gesetze für die Staatengemeinschaft vor und überwacht die Einhaltung des EU-Rechts. Alle 27 EU-Staaten durften mindestens eine Kandidatin und einen Kandidaten nominieren. Weil die Deutsche von der Leyen an der Spitze der Behörde steht, gibt es keinen zusätzlichen deutschen Kommissar.