Zwei neue Initiativen versuchen die Zahl von Organspenden endlich zu erhöhen. Aber sie werden wohl wieder scheitern – zum Leidwesen tausender Patienten

Es ist ein Wunder: Jedes Mal, wenn ich die 14-jährige Lilly sehe, freue ich mich, dass sie so fröhlich ist. Sie macht, was ein Teenager tun muss, wächst unglaublich schnell in die Höhe, reibt sich an dem, was Mama und Papa sagen, reitet für ihr Leben gern und trifft sich mit ihren Freundinnen und Schulkameraden.  

Vor allem freue ich mich, dass die Tochter meines besten Freundes überhaupt noch am Leben ist.

Im Alter von acht Jahren kämpfte Lilly (so nennt sie sich selbst) mit einer Herzschwäche. Vermutlich durch einen Virusinfekt hatte ihr Herz fast sämtliche Energie verloren. Lilly musste dringend ins Krankenhaus, denn nur dort gab es für sie das sogenannte Berlin Heart, eine Pumpe, die kindliche Herzen unterstützt. Von da an war klar: Ohne neues Herz, ohne Transplantation würde sie die Klinik nie wieder verlassen können. 

Das sogenannte Berlin Heart unterstützt das Herz von Kindern. Die müssen dazu aus Sicherheitsgründen im Krankenhaus bleiben, falls das Gerät ausfallen sollte
© IMAGO/Maurizio Gambarini

Für Lilly und ihre Familie begann eine zermürbende Zeit, in der sie täglich auf den Anruf hofften, dass endlich ein passendes Spenderherz gefunden sei. Doch es dauerte zwei Jahre, bis das Mädchen endlich mit einem neuen Herz ins Leben zurückkehren durfte.  

Heute bringen sechs Abgeordnete über die Parteigrenzen hinweg gemeinsam einen Antrag im Bundestag ein: Sabine Dittmar (SPD), Gitta Connemann (CDU), Armin Grau (Grüne), Christoph Hoffmann (FDP), Peter Aumer (CSU) und Petra Sitte (Linke) wollen, dass auch in Deutschland endlich mehr Organspenden zur Verfügung stehen. Dazu bedarf es, so die sechs Politiker, einer Änderung des Organspendegesetzes. Darauf zielt auch eine Initiative ab, die mehrere Bundesländer unter Federführung von Nordrhein-Westfalen Mitte Juni in den Bundestag eingebracht hatten. 

Die üblichen Bedenkenträger sind wieder aktiv

Bisher müssen die Bundesbürgerinnen und -bürger ausdrücklich zustimmen, wenn ihnen nach dem Tode Organe entnommen werden sollen – sei es per Spenderausweis oder durch die Eintragung ins Organspenderegister. 

Schon 2020 gab es eine solche parteiübergreifende Initiative zur Einführung der sogenannten Widerspruchsregelung. Sie scheiterte jedoch, weil sich die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten in einer Abstimmung dagegen entschied. Alles blieb wie es war, die niedrigen Zahlen der Organspenden auch. 2023 haben hierzulande 965 Menschen Organe nach ihrem Tod gespendet. Das waren zwar immerhin elf Prozent mehr als im Vorjahr, doch viel zu wenige, um den großen Bedarf zu decken. 

Leider spricht nichts dafür, dass es diesmal anders laufen wird. Die üblichen Bedenkenträger sind wieder aktiv. Schon vor vier Jahren kritisierte unter anderem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), dass ein Stillschweigen zur Organspende nicht als Zustimmung gewertet werden dürfe und votierte gegen die Gesetzesänderung. Die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr spricht angesichts der neuen Initiative von einem massiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen. Und Eugen Brysch, der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, hält die Organentnahme ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen sogar für eine Körperverletzung. 

In Europa werden Spenderorgane über die Organisation Eurotransplant verteilt. Deutschland „importiert“ viel mehr Organe als es an andere Länder abgibt. Ursache dafür ist auch die bisherige Zustimmungslösung
© IMAGO/Kees van de Veen

Sind ihnen die 8400 Menschen egal, die in Deutschland teils seit Jahren auf der Warteliste für ein Organ stehen? Und von denen viele sterben werden, bevor sie den lebensrettenden Ersatz bekommen. 

Organspende: Deutschland ist Importland

Vergeben werden die Organe über das europäische Verteilsystem Eurotransplant. Während Deutschland sonst eine der größten Exportnationen der Welt ist, sind wir bei Organen vor allem Importland. Wir bekommen mehr Organe aus anderen Ländern, als wir selbst an diese abgeben.  

Das hat einen einfachen Grund. In den allermeisten europäischen Ländern gibt es längst die Widerspruchsregelung. Jeder Bürger ist dort ein potenzieller Organspender, es sei denn, er widerspricht. Wohin dies führt, zeigen die nackten Zahlen: In Deutschland gab es 2023 pro eine Million Einwohner 10,3 Spender, in Österreich 25,2 und in Spanien sogar 46 Spender. Offenbar fühlen sich die Menschen dort nicht von der Politik gegängelt und in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Im Gegenteil: Anderen durch eine Organspende zu helfen, ist dort offenbar selbstverständlich. 

Wenn man denn unbedingt helfen möchten, könne man sich ja auch ins neue Organspenderegister eintragen, entgegen die Kritiker der Widerspruchslösung hierzulande. Aber offenbar ist das vielen Menschen – auch mir – technisch zu umständlich. Wer hat schon einen digitalen Personalausweis, den es dazu obligat braucht? Gerade einmal 120.000 Bundesbürger hatte sich bis Ende Mai als potentielle Spender registriert.

Eigentlich gehört der Organspendeausweis in jeden Geldbeutel. Tatsächlich besitzen ihn nur 40 Prozent der Deutschen laut einer Umfrage
© IMAGO/Piero Nigro

Wo bleibt die christliche Nächstenliebe?  

Auch die beiden großen Kirchen hatten sich 2020 auf die Seite der Änderungsgegner geschlagen. Es müsse jedem selbst überlassen sein, ob er Spender werden will oder nicht, so ihr Argument. Aber ist die Spende der (für einen Toten nutzlos gewordenen) Organe nicht der höchste Ausdruck von Nächstenliebe? Ich gebe Teile meines Körpers hin, damit andere leben können. Mit meinem christlichen Verständnis lässt sich die sture und herzlose Haltung der Kirchen nicht vereinbaren. Sie war letztendlich sogar Anlass für mich, aus der Kirche auszutreten.  

STERN PAID 17 21 Claras zwei Herzen 15.04

Immer wenn ich Lilly sehe, freue ich mich, dass sie das Glück hatte, rechtzeitig ein Spenderorgan zu bekommen. Ich wünsche mir, mehr Menschen wäre bewusst, wie schnell sie selbst, ihre Kinder, Geschwister oder Eltern in eine ähnliche Situation kommen könnten.   

Ich trage meinen Spenderausweis immer bei mir. Vielleicht hilft er eines Tages dabei, anderen Menschen das Leben zu retten, wenn meines abrupt und unerwartet enden sollte. Es wäre mir die höchste Freude und für meine Hinterbliebenen sicherlich ein Trost.