Kirchenbänke leeren sich, Gotteshäuser schließen – und eine XS-Kapelle rollt durch die Straßen. Die Tiny Church aus Paderborn ist buchbar. Ähnliche Initiativen gibt es vereinzelt auch andernorts.
Die Kirche fährt an Wohnhäusern vorbei, zieht durch Industriegebiete, bremst bei Rot brav neben Autos und Motorrädern – und sorgt am Straßenrand für erstaunte Gesichter.
Viele Leute schmunzeln, als die Tiny Church mit dem Kennzeichen PB TC 777 im nordrhein-westfälischen Paderborn ihren Weg kreuzt. Eine rollende Mini-Kirche, die man auch buchen kann – eine ungewöhnliche Idee und bisher sehr selten. Ähnliche Initiativen gibt es vereinzelt noch an anderen Orten in Deutschland.
Eine mobile Kirche mit moderner Technik – wozu und für wen?
Die mobile Kirche mit einem Fensterkreuz und der Aufschrift „Tiny Church – Die Friedenskirche“ ist ein Hingucker. Als Initiative des Kolping Schulwerks in Paderborn hat sie einen festen Standort auf einem Kolping Gutshof im Kreis Höxter. Dort wird die XS-Kirche für die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen genutzt.
Sie steht auch Besuchern offen – für Gebete oder als Rückzugsort. Und man kann die frisch gesegnete Kapelle auch ausleihen. Dann kommt der Tüv-geprüfte Holz-Wellblech-Bau – 8,10 Meter lang, 3,75 Meter hoch und 3,5 Tonnen schwer – auf einem Anhänger herangerollt.
Innen ist sie hell, es gibt Sitzhocker, Lautsprecher, ein Pult zum Aufstellen. Keinen Altar, keine kirchlichen Symbole, kein Kreuz mit Korpus, alles ist bewusst „funktional-puristisch“, sagt Kolping-Diözesanpräses Sebastian Schulz. Der Raum sei ganz unterschiedlich nutzbar. Auch wer kein Christ sei, könne „andocken.“
Es gibt Farbbeleuchtung, man kann Musik einspielen oder sich ein „Gebet für den Frieden“ aufs Handy schicken lassen. Von überall auf der Welt lässt sich virtuell über einen QR-Code eine Kerze anzünden, die 72 Stunden lang „brennt“ und auch in der Tiny Church auf einem Bildschirm flackert. Eine Glocke soll es noch geben. Auch eine Photovoltaik-Anlage gehört dazu.
Neue Wege in Zeiten leerer Kirchenbänke?
Das Erzbistum Paderborn fördert die „innovative Idee“ finanziell, spricht von einem „zukunftsorientierten Konzept einer Kirche, die sich auf den Weg macht und im sozial-kirchlichen Raum unterwegs ist.“ Bei der Evangelischen Kirche in Deutschland heißt es: „Kirche muss flexibler und an wechselnden Orten präsent sein.“
Eine EKD-Sprecherin unterstreicht: „Gemeinden werden bunter und vielfältiger, die geistlichen Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen unterschiedlicher.“ Die Nähe zu den Menschen bleibe für die kirchliche Arbeit grundlegend – und Tiny Churches seien „eine gelungene Möglichkeit, um sich auf den Weg zu den Menschen zu machen“.
In der baden-württembergischen Gemeine Ruppertshofen unweit von Stuttgart gibt es schon seit 2014 eine bewegliche Mini-Kirche, wie der evangelische Pfarrer Uwe Bauer berichtet. Fünf Meter lang, 2,50 Meter breit, mit Glocke und Altar. „Sie ist immer wieder im Einsatz, vor allem im Sommer für Gottesdienste im Freien“, schildert der Pfarrer.
„Es ist schon auffallend: Die Menschen kommen immer weniger in die Kirche, aber wenn die Kirche zu ihnen kommt – auf den Campingplatz, auf den Parkplatz, an den See, dann sind die Leute da.“ Inzwischen befördert die rollende Kapelle Bänke für 150 Personen, die auch alle aufgestellt und immer voll besetzt sind. „Die Sehnsucht nach Gesprächen, Begegnung, Gemeinschaft ist da.“
Präses Schulz aus NRW betont: „Kleine Einheiten werden wichtiger.“ Er sitze manchmal im Gottesdienst mit sehr wenigen Menschen in großen Räumen. Da komme keine richtige Atmosphäre auf. Mit der Tiny Church treffe man einen Nerv. Er stellt klar: „Es ist aber keine Kapelle, wo ich jetzt als Geistlicher mitfahre und Gottesdienste feiere, wo keine mehr sind.“
Es gehe nicht darum, Strukturen zu ersetzen, sagt er mit Blick auf Gotteshäuser, die mangels Nachfrage – die Mitgliederzahlen der christlichen Kirchen sinken seit Jahren drastisch – geschlossen wurden. Also keine Parallele zum Bäckerwagen, der übers Land fährt, weil die Bäckereien dichtgemacht haben.
Erst mal offen Ideen aufnehmen
Die Tiny Church soll ohne starre Vorgaben in die Gesellschaft rollen, erläutert Eva-Klare Kurtenbach, Geschäftsführerin des Kolping-Schulwerks. „Wir nehmen erst mal offen Ideen auf. Wir wollen da Freiheit reingeben und sind gespannt.“ Man wünsche sich schon, „gewisse Rituale einzuführen“, etwa Friedensgebete einzubinden. Vorstellbar sei das Kirchlein auch als Ruhepol bei Festen, als Ort für Begegnung und Gespräche oder mal für einen Poetry Slam. Das „Verlorensein in der großen Kirche“ lasse sich womöglich aufheben.
Die Zwergkirche besucht auch Kitas. „Die Tiny Church ist eine tolle Idee. Ich habe sofort gesagt, die will ich mal eine Woche hier haben für die Kinder und ihre Familien“, berichtet Michaela Pape, Leiterin der Adolph-Kolping-Kita in Borchen nahe Paderborn. „Es gibt in unserer Gesellschaft kaum noch Berührung zur Kirche.“
Die meisten der fast 80 Kita-Kinder sind konfessionslos. Aufgeregt warten sie auf den Besuch der kleinen Kirche. Einige versammeln sich dann auf Hockern im Kreis. „In dieser kleinen Kirche kann man sich selbst überlegen, was man machen möchte“, erklärt ihnen Pape. Die Jungen und Mädchen singen lauthals, sprechen über Menschen, die sie liebhaben, zünden am Bildschirm virtuelle Kerzen an. „Ich fand es sehr gemütlich da drin“, sagt Tilda (5).
Wächst das Interesse am Konzept Tiny Church?
In Frankfurt laufen schon seit einiger Zeit Vorbereitungen für eine Tiny Church, die zum Jahresende fertig sein und in einem schnell wachsenden Wohngebiet zum Einsatz kommen soll. „Bisher haben wir überwiegend eine Komm-Kultur – hinein in die Kirche im Dorf oder in die Kirche in der Stadt, die als Immobilien sehr präsent sind. Wir gehen jetzt raus, in ein Viertel hinein“, sagt Diplom-Soziologe George Kurumthottikal von der Sankt-Jakobus-Gemeinde. „Was wir ausprobieren und hier womöglich erreichen, lässt sich eventuell auch auf andere Neubaugebiete übertragen. Wir sind mit vielen Städten im Austausch.“