Islamismus, Antisemitismus, Radikalisierung von links und rechts: Die Gefahr durch politischen und religiösen Extremismus in Deutschland hat im vergangenen Jahr weiter zugenommen. In fast allen Bereichen sei die Zahl der Extremisten gestiegen, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am Dienstag bei der Veröffentlichung des Jahresberichts seiner Behörde. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht die Demokratie in Deutschland daher „unter erheblichem Druck“.

Haldenwang sprach von einem „sehr hohen Niveau von Bedrohungen“. Das Risiko dschihadistischer Anschläge sei seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel weiter gestiegen. Der Nahostkonflikt habe zudem „wie ein Brandbeschleuniger für den Antisemitismus in Deutschland“ gewirkt. Außerdem wächst die Gefahr aus dem rechts- und linksextremistischen Spektrum.

Laut Verfassungsschutzbericht wurde 2023 ein neuer Höchststand von Straftaten mit extremistischem Hintergrund registriert. Sie stiegen um knapp 4000 auf 39.433. Die Zahl politisch motivierter Straftaten insgesamt erhöhte sich auf 60.028 (2022: 58.916).

Bedrohungen aus dem Islamismus ergäben sich sowohl durch radikalisierte Einzeltäter, aber auch durch dschihadistische Gruppierungen. „Neben den in den vergangenen Jahren dominierenden weniger komplexen Anschlägen auf vornehmlich ‚weiche‘ Ziele ist weiter auch mit komplexeren Anschlagsvorhaben zu rechnen“, warnen die Verfassungsschützer.

Ein „wesentlicher gemeinsamer Nenner“ sei bei vielen islamistischen Gruppierungen der Antisemitismus. „Die islamistische Propaganda fördert nicht nur antisemitisches Gedankengut, sie fordert dazu auf, den Gedanken auch Taten folgen zu lassen“, heißt es in dem Bericht. „Wir haben die islamistische Szene im Visier“, sagte Innenministerin Faeser.

Die gegen Israel gerichtete Boykottbewegung BDS stufen die Behörden inzwischen als extremistischen Verdachtsfall ein. Die Bewegung weise „Bezüge zum säkularen palästinensischen Extremismus“ auf, heißt es in dem Bericht. Demnach „liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vor, dass BDS unter anderem „gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstößt“.

Der Rechtsextremismus bleibt laut dem Bericht das größte Problem. Die Gesamtzahl rechtsextremistischer Straf- und Gewalttaten stieg im Vergleich zum Vorjahr deutlich um 22,4 Prozent auf 25.660 an. 

Der Bericht sieht weiterhin radikale Tendenzen innerhalb der AfD, die der Verfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft. 11.300 Menschen – und damit 1100 mehr als im Vorjahr – rechnet die Behörde im Zusammenhang mit der AfD und ihrer Jugendorganisation Junge Alternative dem Rechtsextremismuspotenzial zu. 

„Innerhalb der AfD waren auch im Jahr 2023 von zahlreichen AfD-Funktionären und -Mandatsträgern gefestigte Verbindungen zu Akteuren und Organisationen des extremistischen Teils der Neuen Rechten feststellbar“, heißt es in dem Bericht. „Dabei handelt es sich nicht um zufällige, sondern um strukturelle Verbindungen innerhalb eines strategisch agierenden Netzwerks.“

Aus dem linksextremistischen Bereich wird die radikale Klimaaktivistengruppe Ende Gelände inzwischen als Verdachtsfall geführt. Das Bündnis, das vor allem durch Proteste gegen den Kohle-Bergbau in Erscheinung getreten war, habe seine Aktionsformen zunehmend verschärft „bis hin zur Sabotage“, heißt es in dem Bericht. Grundsatzpapiere der Gruppe ließen „deutlich eine Radikalisierung im Hinblick auf die vorherrschenden ideologischen Positionen“ erkennen. 

Insgesamt gehen die Behörden im Linksextremismus von einem Personenpotenzial von 37.000 (plus 500 gegenüber 2023). Darunter seien 11.000 gewaltorientiert. Die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten stieg um gut zehn Prozent auf 4248 Delikte. Noch deutlicher ist der Anstieg bei den Gewalttaten um gut 20 Prozent auf 727. Besonders die Gewalt gegen Polizeikräfte nahm deutlich zu.

Auch die Bedrohung durch Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffe habe „eine neue Dimension erreicht“, sagte Faeser. Neben China und Iran steht hier vor allem Russland im Fokus. Faeser stellte aber klar: „Wir lassen uns nicht einschüchtern und wir werden die Ukraine in ihrem Freiheitskampf weiter unterstützen.“