Ein Zwischenfall mit zwei Kindern aus Ghana hat bundesweit für Empörung gesorgt und die Rassismusdebatte angeheizt. Doch der Tatablauf stellt sich den Ermittlern inzwischen anders dar.

Der Zwischenfall mit zwei Mädchen aus Ghana im mecklenburgischen Grevesmühlen stellt sich den Ermittlern inzwischen anders dar als zunächst geschildert. Nach der Auswertung von Videoaufnahmen teilte das Polizeipräsidium Rostock am Montagabend mit: „Nach derzeitigem Ermittlungsstand hat das achtjährige Mädchen keine körperlichen Verletzungen erlitten, die auf die in der Erstmeldung geschilderte Tathandlung hindeuten.“

Die Polizei hatte zunächst mitgeteilt, die Schwestern sollten angegriffen worden sein, der Jüngeren solle unter anderem ins Gesicht getreten worden sein. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) sagte daraufhin am Samstag: „Man greift keine Menschen an, erst recht keine Kinder und schon gar nicht aus rassistischen Motiven.“

Der Fall hatte bundesweit Empörung ausgelöst und die Debatte über Rassismus angeheizt. Aus der Grünen-Bundestagsfraktion wurden die Innenminister von Bund und Ländern aufgefordert, sich bei ihrer Frühjahrskonferenz in dieser Woche mit Maßnahmen gegen rassistische Gewalt zu beschäftigen.

Ausgestreckter Fuß und fremdenfeindliche Beleidigung

Das Kind war am Freitagabend in der mecklenburgischen Stadt mit seiner zehnjährigen Schwester unterwegs gewesen. Die Ermittler teilten am Montagabend nun mit, dass die Achtjährige nach derzeitigem Ermittlungsstand mit ihrem Roller an einem Jugendlichen vorbeifahren wollte. „Dieser versperrte dem Mädchen offenbar mit seinem ausgestreckten Bein den Weg und traf sie mit seiner Fußspitze.“ Zu diesem Zeitpunkt habe sich eine größere Gruppe Jugendlicher in dem Bereich aufgehalten. Die Kinder hätten sich daraufhin verängstigt und weinend an ihre Eltern gewandt.

Die Eltern wollten die Jugendlichen zur Rede stellen, wie die Polizei weiter mitteilte. Daraufhin sei es zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen gekommen. „Dabei wurden auch fremdenfeindliche Beleidigungen geäußert.“ Die Polizei hatte zunächst mitgeteilt, das achtjährige Kind und der Vater seien leicht verletzt worden. Eine Polizeisprecherin sagte nun, das Mädchen sei körperlich unverletzt, an den Angaben zum Vater ändere sich nichts.

Die zehnköpfige Ermittlergruppe unter Leitung des für politische Delikte zuständigen Staatsschutzes der Polizei hatte um Hinweise aus der Bevölkerung gebeten. Daraufhin gingen unter anderem Foto- und Videoaufnahmen bei der Polizei ein. Die Ermittlungen dauerten weiter an, hieß es. Der Vater der Mädchen sagte der „Bild“, er und seine Familie wollten sich nicht aus der Stadt vertreiben lassen „Wir leben seit 2016 in Grevesmühlen, wir bleiben hier“, zitierte ihn die Zeitung.

Thematisierung bei Innenministerkonferenz gefordert

Auf Basis des ursprünglichen Kenntnisstands hatte die Parlamentsgeschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, der Deutschen Presse-Agentur gesagt: „Der abscheuliche rassistische und feige Angriff durch eine große Gruppe von Menschen auf zwei ghanaische Kinder in Grevesmühlen darf nicht folgenlos bleiben.“ Die Innenministerkonferenz sei gefordert, sich mit den nötigen Konsequenzen zu befassen. „Eine solche Attacke kann zu Nachfolgetaten animieren und darüber hinaus verheerende Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl von schwarzen und migrantischen Kindern und Jugendlichen in Deutschland haben.“

Die Innenministerinnen und Innenminister von Bund und Ländern treffen sich an diesem Mittwoch zu Beratungen in Potsdam. Bei ihrem dreitägigen Treffen wird es unter anderem um Bevölkerungsschutz, europäische Asylpolitik und Abschiebungen gehen. Im ersten Quartal dieses Jahres zählte die Polizei laut vorläufigen Zahlen bundesweit 46 rechts motivierte Gewalttaten, bei denen Rassismus eine Rolle spielte. Acht dieser Straftaten wurden demnach in Mecklenburg-Vorpommern registriert.

Rechtsextremismusforscher beobachtet eskalierende Enthemmung

Der Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig, Oliver Decker, sah auf Basis der ersten Informationen einen Zusammenhang mit der Europawahl am 9. Juni, bei der die AfD in allen ostdeutschen Flächenländern jeweils die meisten Stimmen erhalten hatte. Er erklärte: „Wenn ich vermute, dass die Norm der Ächtung von Gewalt in meinem Umfeld nicht mehr gilt, dann kann ich dem Bedürfnis nachgehen.“ In diesem Fall bedeute dies, den eigenen Ressentiments freien Lauf zu lassen, bis hin zur Ausübung von Gewalt. Die AfD zu wählen, sei bereits „Kennzeichen einer Radikalisierung“, fügte er hinzu.

In den vergangenen Wochen hatten mehrere Vorfälle für Schlagzeilen gesorgt, bei denen Feiernde bei Volksfesten und privaten Partys mit rassistischen Gesängen aufgefallen waren. Wegen rechtsextremer Parolen und volksverhetzendem Gegröle hat es im Saarland in der Nacht zum Samstag gleich zwei Polizeieinsätze gegeben.