Wegen der Verfolgung von Frauen hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Haftbefehl gegen die Anführer der radikalislamischen Taliban in Afghanistan beantragt. Wie Chefankläger Karim Khan am Donnerstag in Den Haag erklärte, besteht der begründete Verdacht, dass Taliban-Chef Haibatullah Achundsada und Afghanistans Oberster Richter, Abdul Hakim Hakkani, „strafrechtlich für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung aus Gründen des Geschlechts“ verantwortlich sind. Menschenrechtsaktivisten begrüßten den Schritt.
Frauen und Mädchen sowie LGBTQ-Menschen seien in Afghanistan einer „beispiellosen, skrupellosen und andauernden Verfolgung durch die Taliban“ ausgesetzt, fügte Khan hinzu. „Unser Vorgehen macht deutlich, dass der Status Quo für Frauen und Mädchen in Afghanistan nicht hinnehmbar ist.“ Khan kündigte zudem weitere Maßnahmen gegen weitere Vertreter der Taliban an.
„Jeglicher Widerstand oder jegliche vermeintliche Opposition gegen das Taliban-Regime wurde und wird weiterhin gewaltsam unterdrückt, indem Verbrechen begangen werden, darunter Mord, Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt, Verschwindenlassen sowie andere unmenschliche Handlungen“, erklärte Khan weiter.
Die Richter am IStGH müssen nun prüfen, ob auf Khans Antrag hin Haftbefehle ausgestellt werden – bis zur Entscheidung können Wochen oder Monate vergehen. Sollten Haftbefehle ausgestellt werden, müssten die 125 Mitgliedsstaaten des Gerichts diese im Prinzip vollstrecken, sollte einer der Betroffenen in eines der Länder reisen.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) könnte der geforderte Haftbefehl das Thema Frauenrechte in Afghanistan wieder in den Fokus der internationalen Gemeinschaft rücken. „Drei Jahre nach der Machtübernahme durch die Taliban haben haben ihre systematischen Verstöße gegen die Rechte von Frauen und Mädchen (…) zugenommen“ und seien komplett ungestraft geblieben, hieß es in einer Erklärung der NGO. „Dies ist ein wichtiger Moment für afghanische Frauen und Mädchen, die viel zu lange auf Gerechtigkeit gewartet haben“, hieß es weiter.
Auch afghanischen Frauenrechtsaktivistinnen begrüßten den Schritt. Die ehemalige afghanische Abgeordnete Schukria Baraksai sprach von einem „Sieg“. Der Haftbefehl könne „als wichtige Errungenschaft für den Feminismus weltweit (…) und insbesondere für die Frauen in Afghanistan“ gewertet werden, sagte Baraksai der Nachrichtenagentur AFP.
Der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Afghanistan, Richard Bennett, erklärte bei X, es handele sich mit Blick auf die Rechenschaftspflicht in dem Land um einen „entscheidenden Schritt“.
Die Taliban sind in Afghanistan seit 2021 wieder an der Macht. Die Islamisten hatten zunächst angekündigt, liberaler zu regieren als während ihrer Herrschaft zwischen 1996 und 2001. Bald wurden die Rechte von Frauen und Mädchen aber wieder drastisch eingeschränkt. Frauen und Mädchen sind weitgehend aus dem öffentlichen Raum verbannt. Der Besuch weiterführender Schulen ist ihnen untersagt, die Arbeitsmöglichkeiten sind weitestgehend eingeschränkt. Frauen müssen sich in der Öffentlichkeit komplett verhüllen.
Seit der Verabschiedung eines „Tugendgesetzes“ im Sommer ist es Frauen zudem untersagt, in der Öffentlichkeit laut zu sprechen oder gar zu singen. Auch einige Fernseh- und Radiosender haben weibliche Stimmen komplett aus dem Programm verbannt. Zuletzt erließen die Taliban vor wenigen Wochen ein Dekret, das den Einbau von Fenstern in Wohnhäusern verbietet, durch die von Frauen genutzte Bereiche einsehbar sein könnten.
Taliban-Chef Achundsada lebt zurückgezogen in der Taliban-Hochburg Kandahar im Süden des Landes. Er wurde 2016 zum Oberhaupt der Gruppe gekürt und ist, je nach Quelle, in seinen 60ern oder 70ern.