„Assassin’s Creed: Shadows“ macht Fanwünsche wahr und versetzt die Serie ins alte Japan. Ganz nebenbei wurde eine der größten Schwächen beseitigt. Andere bleiben aber leider.

Vorsichtig schleicht die dunkle Gestalt über die üppig verzierten Dachgiebel Kyotos, in der Hand glänzt die Klinge ihrer Katana. Auf den Pfaden unten patrouillieren nichtsahnend die schwer bewaffneten Wachen. In einem abgelegenen Teegarten wähnt sich der Burgherr in seiner protzigen Samurai-Rüstung in Sicherheit. Dann geht alles ganz schnell: Von oben lässt sich der Schatten auf sein Opfer fallen, eine am Handgelenk ausgefahrene Klinge sticht von hinten in die Spalten zwischen den aufwendig gestalteten Rüstungsplatten. Die junge Frau entfernt ihre Maske, als sie abfällig auf den Leichnam herabschaut. Und verschwindet so lautlos wie sie kam. Sie hat ihre Rache bekommen.

Schon seit „Assassin’s Creed“ im zweiten Teil das Setting aus dem arabischen Raum nach Italien verlegte, wünschten sich die Fans, auch durch Japan streifen zu können. Ein nachvollziehbarer Wunsch, schließlich sind Ninja noch berühmter als die legendären Assassinen selbst. Mit dem neuen Teil „Shadows“ ist es endlich so weit. Im Test zeigt sich: Auch wenn einige Schwächen geblieben sind, wurden die Erwartungen sogar übertroffen.

Assassin’s Creed: Shadows trieft vor Atmosphäre
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Assassinen unter Druck

Das ist nicht selbstverständlich. Zum einen hatte die „Assassin’s Creed“-Reihe zuletzt mit „Mirage“ eher enttäuscht, das einstige Erfolgsrezept aus offener Welt, spannender Story und Meuchel-Gameplay verkam allmählich zu einem lieblosen Fertiggericht. Zum anderen war der Ortswunsch der Fans längst erfüllt worden – aber von der Konkurrenz: „Ghost of Tsushima“ und in geringerem Maß auch „Rise of Ronin“ hatten Ubisofts Erfindung erfolgreich kopiert – und es Jahre früher ins alte Japan übertragen. Das Original musste also liefern.

Und was soll man sagen: Das ist gelungen. Schon in den ersten Stunden schafft es „Assassins Creed: Shadows“ eine atemberaubende Stimmung zu erzeugen. Der Spieler wird mit voller Wucht in das Japan des 16. Jahrhunderts versetzt.

„Assassin’s Creed Shadows“: Endlich Filmreif

Das liegt vor allem daran, dass Ubisoft endlich eine seiner größten Baustellen angegangen ist: Das Studio stand in den letzten Jahren vor allem dafür, großartige Spielwelten aufbauen zu können. Die darin erzählten Geschichten blieben oft aber eher mäßig. Während die Spielebranche ihre Geschichten in Spielen wie „Red Dead Redemption 2“, „The Last of Us“ oder „God of War“ immer besser in Szene setzte, fielen Ubisofts Spieleserien wie „Far Cry“ oder eben auch „Assassins Creed“ zurück. Ausgerechnet „Ghost of Tsushima“ zeigte dann, dass gutes Storytelling auch für einen Klon der Ubisoft-Spiele funktionierte.

In „Assassin’s Creed: Shadows“ holt man nun endlich auf. Auch wenn einige wenige der zahlreichen Videosequenzen weiter etwas holprig wirken: Das Storytelling, die Handlung und die Figuren sind deutlich besser umgesetzt, als es bei den letzten Spielen der Fall war.

Assassin’s Creed: Shadows hat erstmals zwei Hauptfiguren: Samurai Yasuke und die junge Ninja Naoe
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Zwei Helden sind (nicht immer) besser als einer

Dabei ist die Herausforderung eigentlich groß: Statt einer gibt es nämlich gleich zwei Hauptfiguren, deren teils höchst unterschiedliche Geschichten erzählt werden. Zum einen ist da die fiktive Figur der jungen Naoe, die nach dem Verlust ihrer Familie nach Rache giert. Zum anderen Yasuke, der einzige historisch dokumentierte Samurai mit afrikanischen Wurzeln. Wie sich deren Pfade kreuzen und ineinander verweben, ist wirklich toll erzählt. Dasselbe gilt für viele der Nebenfiguren.

Wer die ganze Geschichte erleben will, muss aber Geduld haben. Denn leider findet sich auch eine der Schwächen der Serie wieder: Die Welt ist viel größer, als sie es müsste. Zwar sind das historische Japan, seine wilde Natur und die beeindruckenden Städte toll umgesetzt, eine oder zwei Größenordnungen kleiner hätten es aber auch getan. 

Das fällt vor allem deshalb schnell auf, da die Welt eher in Ballungsgebieten mit Nebenaufgaben, Gegnergruppen und interessanten Schauplätzen für Abwechslung sorgt. Dazwischen ist viel zu oft nur schön gestalteter Leerraum, der als Zeitfresser zu dienen scheint. So verbringt man oft zu viel Zeit, um von einem Ziel zum nächsten zu laufen oder zu reiten – ohne dass auch nur irgendetwas Interessantes auf dem Weg stattfinden würde. Für abseitige Markierungen auf der Karte ist man gut und gerne fünf Minuten unterwegs. Ironischerweise kommentiert selbst Naoe beim Betreten von Kyoto, dass die Stadt eigentlich viel zu groß ist.

Die Spielwelt von Assassin’s Creed: Shadows ist riesig. Das historische Japan sieht wunderschön aus. Das sieht man vor allem beim Erklimmen der bekannten Aussichtspunkte. Die Landschaft sieht je nach Tages- und Jahreszeit (hier: Sonnenuntergang im Herbst) völlig anders aus
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Lange Geschichte

Dabei ist die Handlung auch so schon ohne das ewige Herumgelaufe alles andere als kurz. Zwar geht es wie gewohnt darum, Ziele zu identifizieren und dann umzulegen. Aber das Spiel legt den Charakteren immer wieder Steine in den Weg, die es abzuarbeiten gilt. Außerdem ist die Zahl der Ziele und feindlichen Gruppierungen so groß wie nie.

Heißt: Selbst wenn man sich vor allem auf die Handlung konzentriert, hat man deshalb nach mehr als 20 Stunden noch nicht annähernd die Hälfte gesehen. Spielt man langsamer, kann es sein, dass man auch nach fast 40 Stunden noch nicht an diesem Punkt ist. Wer Zeit mitbringt, findet immer noch irgendwas anderes zu tun. Nur kurz durch die Handlung zu spielen, ist dagegen kaum wirklich möglich. Der monumentale Zeitaufwand wird spätestens dann deutlich, wenn es darum geht, das Gebiet zu wechseln. Die ersten zwei Provinzen sind noch spannend, danach kann auch dem größten Entdecker zeitweise die Lust an der langwierigen Erkundung vergehen.

Mit Naoe spielt man Assassin’s Creed: Shadows so, wie man es aus der Serie gewöhnt ist – und setzt Nahkampf nur im Notfall ein. Yasuke dagegen bietet einen deutlich offensiveren Spielstil
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Mehr Abwechslung – wenn man möchte

Beim Gameplay selbst hat sich erst einmal wenig verändert. Wie bei den letzten Spielen der Serie schleicht, klettert und kämpft man sich durch die zahlreichen Herausforderungen. Mit Yasuke gibt es aber dann doch eine größere Neuerung. Während Naoe sich weitgehend wie die Hauptfiguren der Vorgänger steuert, erlaubt der Samurai einen anderen, deutlich offensiveren Spielstil.

Das funktioniert erstaunlich gut. Mit seiner Rüstung und schwereren Waffen geht er Kämpfe direkter an, statt aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. Muss man mit der rüstungslosen Naoe immer etwas vorsichtiger vorgehen, tritt Yasuke wortwörtlich Türen ein. Und bringt so Abwechslung in das altbekannte Gameplay. Den Spielern bleibt dabei fast immer die Wahl, welche der Figuren man bevorzugt. Nur zu Anfang und bei einigen Einzelgeschichten und -aufgaben ist man festgelegt, da es immer wieder auch um die persönlichen Schicksale der Charaktere geht.

In der Praxis spielten dann aber beide Tester in der Redaktion eher selten Yasuke. Der hat nämlich einen klaren Nachteil: Während Naoe wie die Hauptfiguren der Vorgänger mühelos jedes Hindernis erklimmt, ist der träge Samurai deutlich weniger kletterfreudig – und muss deshalb oft Umwege gehen. Auch das Umgehen von Kämpfen ist mit dem sympathischen Riesen schwieriger. In einer Spielwelt, die so sehr auf Freerunning und Schleichen ausgelegt ist, kann einem das leider schnell den Spaß verderben. Schade.

Die Jahreszeiten lassen Japan in Assassin’s Creed: Shadows völlig unterschiedlich wirken. Wer möchte, kann auch zwischen ihnen wechsen
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Nicht alles ist rund

Auch sonst gibt es einige merkwürdige Entscheidungen. So ist es im Spiel etwa möglich, die Jahreszeit zu ändern. Das füllt Vorräte auf, beendet die Verfolgung gesuchter Charaktere und bringt kleine, spielerische Unterschiede mit sich. Die Tageszeit kann man aber nicht anpassen. Dabei war das beim Vorgänger „Valhalla“ durch Meditation noch möglich – warum das Spielelement ausgerechnet in Japan fehlt, ist wahrlich kurios. Und so kann man sich zwar entscheiden, den Schleichangriff auf die Burg bei Sonnenschein oder Schneefall zu starten – aber nicht gezielt in der Dunkelheit der Nacht. Das ist spätestens dann sehr ärgerlich, wenn einzelne Quests nur zu einer bestimmten Tages- oder Nachtzeit zur Verfügung stehen. Vor Ort warten ist nicht möglich – also muss man, sobald es zufällig die gewünschte Stunde schlägt, zurückkehren.

Fazit zu „Assassin’s Creed:Shadows“: Auf dieses Spiel haben wir gewartet, aber …

Für Ubisoft ist „Assassin’s Creed: Shadows“ ein klarer Erfolg: Es bringt die Stärken der Serie in ein von den Fans sehnlichst erwartetes Setting – und übertrifft dabei sogar noch die hohen Erwartungen. Vor allem die schöne Welt, die gelungene und oft stark inszenierte Handlung und das gewohnt gute Gameplay dürften Spieler begeistern. Der Wechsel zwischen Naoe und Yasuke bringt dabei zusätzliche Abwechslung in Handlung und Gameplay.

Leider bleiben aber auch Schwächen. Trotz der gelungenen Gestaltung ist die Welt schlicht zu groß. Das Umherreisen nimmt daher viel zu viel Zeit in Anspruch, ohne ausgiebiges Erkunden wirklich zu belohnen. Hinzu kommt: Die Unmengen an möglichen Aktivitäten und Quests mögen einige Hardcore-Spieler begeistern, die meisten dürften davon aber eher überfordert sein. Es wäre schade, wenn dieser Umstand Gelegenheitsspieler davon abhält, die ohnehin schon sehr lange Haupthandlung bis zum Ende zu erleben.

Das ist aber Meckern auf hohem Niveau. Mit dem tollen Setting, der deutlich besser erzählten Handlung und dem gewohnt guten Gameplay kann man „Assassin’s Creed: Shadows“ trotz der Schwächen guten Gewissens empfehlen. Fans der Serie wie Einsteiger werden auf ihre Kosten kommen. Auch wenn man die Handlung dann vielleicht nur auf Youtube zu Ende schaut.

Assassin’s Creed: Shadows erscheint am 20. März für PC, Playstation 5 und Xbox Series S und X. Es kostet etwa 70 Euro.