Linken-Chefin Ines Schwerdtner will den Adeligen ihre Titel aus dem Namen streichen. Billiger Populismus wie diese Forderung wird ihre angeschlagene Partei nicht retten.
Man möchte in diesen Zeiten nicht mit der Linken-Parteichefin tauschen. Sarah Wagenknecht stiehlt ihr ständig die Show, selbst die ultrarechte AfD weiß im Arbeitermilieu besser zu punkten. Der eigene Parteitag schickt lieber ausrangierte Parteiveteranen als Zugpferde in den Wahlkampf. Wer will es also einer Ines Schwerdtner verdenken, dass sie einen Griff in die ideologische Mottenkiste wagt, um für ein bisschen Wirbel zu sorgen.
Klassenkampf aus der ideologischen Mottenkiste
Die Frau, die seit Oktober vergangenen Jahres Parteichefin der Linken ist, vertraute meiner Kollegin Miriam Hollstein eine besonders schrille Forderung an, mit der sie es nun tatsächlich in die Schlagzeilen geschafft hat: Deutschland möge die Adelstitel verbieten! Das ist steil, das ist klassenkämpferisch, schon duftet es himmlisch nach dem Brandgeruch von Revolution. Dass man „Adelstitel“ nicht mehr abschaffen kann, weil dies mit der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 bereits geschehen ist, kann eine wahre Revolutionärin wie Frau Schwerdtner nicht aufhalten. Das Führen der früheren Prädikate im Nachnamen möge verboten werden, so ihre Forderung. Als Vorbild nennt sie Österreich, wo man schon für ein „von“ oder ein „zu“ auf der Visitenkarte vor Gericht muss.
Das stimmt allerdings bloß theoretisch. Karl Habsburg, der unter anderen historischen Umständen heute Kaiser wäre, war 2019 von Grünen-Politikern verklagt worden, nachdem er die Web-Domain karlvonhabsburg.at angemeldet hatte. Das Verwaltungsgericht Wien sprach Herrn Habsburg schuldig, gegen das Adelsaufhebungsgesetz verstoßen zu haben. Allerdings war die zu verhängende Geldstrafe noch in Kronen angegeben, also der im Jahre 1919 gültigen Währung. Somit wurde auf die Exekution der Strafe verzichtet, weil kein seriöser Umrechnungskurs existiert. Eine Farce, wie sie nur in Österreich denkbar ist. Habsburgs Website ist bis heute online, die Republik hat dem Vernehmen nach keinen gröberen Schaden daran genommen.
Alter Adel funktioniert auch ohne „von“
Ein alter Witz aus der Zeit des Gesetzes gilt bis heute als vielsagender Kommentar zum Thema: Im Jahr 1919 sei der Adjutant des Fürsten Schwarzenberg kreidebleich ins Palais gerannt und habe gerufen: Durchlaucht, es ist Schreckliches geschehen, das Parlament hat soeben das Führen von Adelstiteln verboten! Der Fürst zuckt daraufhin bloß mit den Schultern und sagt: Leid tut’s mir um den „von Meier“.
Wer Habsburg, Liechtenstein oder Schwarzenberg heißt, braucht kein „von“ und kein „zu“, keinen „Erzherzog“ oder „Fürst“ im Namen, man weiß auch so, wer man ist. Für den unwahrscheinlichen Fall dass sich Frau Schwerdtner mit ihrer Forderung durchsetzt, würde sich auch für „Herrn Bayern“ oder „Frau Preußen“ wenig ändern. Für die vielen Rentner, die in Berlin und anderswo Mülltonnen nach Pfandflaschen durchstöbern, allerdings auch nicht.
Hat nicht kürzlich ein Prinz den Umsturz geplant?
Jene 0,1 Prozent der deutschen Bevölkerung, die aus den ehemals privilegierten Familien stammen, dafür verantwortlich zu machen, dass Beatrix von Storch bei der AfD kandidiert, Heinrich XIII. Prinz Reuß vom Umsturz träumt und Ernst August von Hannover hin und wieder mit Stühlen wirft, ist schlichtweg unredlich. Stehen alle Adeligen in einer gewissen unseligen Tradition von Unterdrückung und Demokratiefeindlichkeit? Jedenfalls nicht mehr, als es die Vertreter der Nachfolgepartei einer verbrecherischen SED tun. Ja, es gibt schreckliche Personen aus dem Blaublüter-Milieu, und es gibt ganz wunderbare. So wie unter Vegetariern, Muslimen, Rothaarigen, Schützenvereinsmitgliedern und Linken auch. Was sagt uns das über diese Bevölkerungsgruppen? Nichts.
Nicht mehr zeitgemäß sind Ressentiments
Populistische Attacken auf Aristos funktionieren vornehmlich über Klischees und Ressentiments. Das Leben auf Schlössern ist oft deutlich weniger glamourös, als manche denken. Um diese Kulturdenkmäler zu pflegen, wohlgemerkt ohne den Einsatz von Steuermitteln, bedarf es oft eines ganzjährigen Eventbetriebs. Prominente Vertreter wie Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe, Luitpold Prinz von Bayern oder Stephanie Gräfin von Pfuel leben nicht luxuriös von den Erlösen irgendwelcher Latifundien, sondern arbeiten als Eventmanager und Veranstalter von Ritterturnieren, Gartenbaumessen, Weihnachtsmärkten oder Schlossfestspielen, um die vererbten Kulturgüter und Baudenkmäler zu erhalten. Der Adel ist damit nicht aus der Zeit gefallen, sondern lebt seit Jahrhunderten ein Prinzip, auf das der Rest der Gesellschaft erst einmal kommen musste: Nachhaltigkeit.
Micky Beisenherz stern Adel 9.46
Um diese Entertainmentbetriebe am Laufen zu halten, sind die alten Titel im Namen oft wichtige Elemente der Promotion. Auch wenn man sich das als Linken-Chefin schwer vorstellen kann, strömen die Menschen dorthin und zahlen bereitwillig Eintritt, weil ihnen das bisschen Glanz und Adels-Nostalgie gefällt. Wie mag es sonst kommen, dass auch junge, moderne, aufgeschlossene Menschen winkend am Rande von Adelshochzeiten stehen? Vielleicht weil von den einstigen Aristos keine Gefahr ausgeht, sondern vielmehr eine Art von Identifikation mit Historie und Tradition.
Zur Vielfalt gehören nun einmal Unterschiede
„Eine moderne Demokratie, die sich die Gleichheit aller auf die Fahnen schreibt, braucht keine Barone, Grafen und Erbherzöge“, sagt Frau Schwerdtner. Doch wer auf die Liste der reichsten Deutschen blickt, wird unter den Top 100 nur vereinzelt adelige Namen finden. Andreas von Bechtolsheim etwa, die Familie Finckh, die von Holtzbrincks. Ein Informatiker und Lehrersohn, eine Bankiersdynastie, eine Verlegerfamilie. Der Reichtum dieser Leute hat eher wenig damit zu tun, dass sie einer angeblichen aristokratischen Elite entstammen.
Zu einer pluralistischen Gesellschaft gehören nun einmal Unterschiede und Respekt vor Menschen, die andere Lebensentwürfe haben als man selbst. Wer Vielfalt will, muss nicht nur Nonbinäre, Queere und Transmenschen aushalten, sondern auch welche, die gern Tweed tragen und sonntags nach der Messe in Gummistiefeln zur Wildentenjagd aufbrechen.