Die zentrale Veranstaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern zum Holocaust-Gedenktag fand in einer Klinik statt. Denn auch Heil- und Pflegeanstalten waren Teil der NS-Tötungsmaschinerie.
Hunderte Menschen mit Behinderung sind während der NS-Zeit in der „Heil- und Pflegeanstalt Sachsenberg-Lewenberg“ in Schwerin zu Tode gekommen. Am diesjährigen Holocaust-Gedenktag sind sie in Mecklenburg-Vorpommern in den Mittelpunkt der Erinnerung gestellt worden. Bei der zentralen Veranstaltung sagte der evangelische Bischof Tilman Jeremias laut einer Mitteilung: „Wir trauern um Menschen, die als „lebensunwert“ aussortiert wurden.“
Psychisch Kranke, seelisch oder körperlich Behinderte seien auf dem Sachsenberg in Schwerin, auf dem Gelände der heutigen Helios-Klinik, sterilisiert worden, hätten hungern müssen oder seien ermordet worden. Allein etwa 430 Kinder und Jugendliche starben dort nach seinen Worten an Mangelernährung, Übermedikation oder Injektionen. 1941 seien 275 psychisch kranke Erwachsene von Schwerin aus in die Tötungsanstalt Bernburg transportiert und dort vergast worden. „Neuere Forschungen sprechen von 1.900 Opfern auf dem Sachsenberg.“
Drese: Gleichgültigkeit ebnete Weg in Barbarei
Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) erklärte bei der Veranstaltung, es sei unverzichtbar, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit in aller Deutlichkeit zu benennen und zu verurteilen. „Wenigstens das sind wir den Opfern schuldig, ihren Angehörigen und Nachkommen.“ Es sei vor allem auch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Anderen gewesen, die dem Hitler-Regime den Weg in die Barbarei geebnet habe.
Schwesig mahnt zu Menschlichkeit
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig rief am Holocaust-Gedenktag zu Menschlichkeit und Frieden auf. „Dieser Tag mahnt uns, die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten, aus der Geschichte zu lernen und uns entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Hass einzusetzen“, erklärte die SPD-Politikerin. „Das Gedenken ist ein Auftrag für alle Generationen, Menschlichkeit und Frieden zu bewahren.“
Am 27. Januar vor 80 Jahren hat die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz befreit. Der 27. Januar ist seit 1996 in Deutschland der offizielle Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Schülerrat fordert mehr Bildung zum Holocaust
Damit junge Leute die Schrecken der Nazizeit mit Millionen getöteter Menschen nicht vergessen, fordern der Landesschülerrat M-V und die Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft Pflicht-Ausflüge zu Holocaust-Gedenkstätten. Mindestens einmal in der 8. und 9. Klasse sollten Schülerinnen und Schüler als festen Teil des Unterrichts ein Konzentrationslager besuchen, betonte die Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft. Bislang gelte die Regel nur in Bayern und im Saarland, teilte die Gesellschaft mit.
Der Vorsitzende des Landesschülerrates, Felix Wizowsky, kritisierte: „In unseren Schulen wird zu wenig über den Holocaust informiert, aber auch die Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler aufgeklärt werden, muss sich maßgeblich verbessern. Ein paar Stunden Geschichtsunterricht reichen dabei lange nicht aus.“ Exkursionen zu Holocaust-Gedenkstätten fänden viel zu selten statt.
Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) verwies darauf, dass das Land mit verschiedenen Projekten die Erinnerungskultur an den Schulen gestärkt habe. „Bei der Förderung von Gedenkstättenfahrten liegt Mecklenburg-Vorpommern im bundesweiten Vergleich deutlich an der Spitze.“ Die Fördermittel für mehrtägige Fahrten in die ehemaligen deutschen NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Treblinka, Belzec, Sobibor und Kulmhof seien von 50.000 Euro auf 150.000 Euro verdreifacht worden.