Merz‘ Migrations-Plan legt offen, dass eine Koalition zwischen Union und Grünen nahezu ausgeschlossen ist. Das hat nicht nur mit der AfD zu tun.

Merz war mal wieder Hauptfigur auf dem grünen Parteitag. Niemand war so präsent wie der Kanzlerkandidat der Union – mit seinem 5-Punkte-Plan zur radikalen Begrenzung der Migration und seiner Ansage, diesen notfalls auch mit Stimmen der AfD durch den Bundestag zu bringen.  

Ein Mann verliert die Nerven, aus Angst vor der Umfragedelle, aus Panik, auf den letzten Metern womöglich noch von der AfD überholt zu werden. Nach Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg ist er also bereit, die Brandmauer zur AfD einzureißen. Das ganze „Nazi-Bashing“ und „Brandmauergerede“, so sekundiert sein Generalsekretär Carsten Linnemann, möge man jetzt bitte mal einstellen. 

Dagegen präsentieren sich die Grünen auf ihrem Parteitag am Sonntag in Berlin wie politisch erwachsene Menschen. 

Die Grünen sind angemessen empört 

Natürlich sehen sie alles fundamental anders. Natürlich ist die Empörung über Merz – die echte und die rituelle – bei den Grünen angemessen groß. Natürlich wird gewarnt, gezetert, nennt auch Habeck den Merz-Plan den einen „Schritt zu weit“.  

Aber es gibt keinen Kurzschluss.  

Wer weiß, wie heilig den Grünen die Themen Migration, Demokratie, Kampf gegen „Rechts“ sind, der ahnt: Das ist keine Kleinigkeit. Üblicherweise funktioniert das grüne Reiz-Reflex-Schema, was im schlimmsten Fall bedeutet hätte, der eigenen Führung klare Vorgaben bis hin zur Fesselung zu machen, wie sie sich in Migrationsfragen zu verhalten hat.

 Grüne Parteitag 1605

Die Grünen erweisen sich gerade als erwachsen genug, um im Wahlkampf darauf zu verzichten, offiziell diese rote Linie zu ziehen. Kein „Wehe, wenn“ und kein „Wenn, dann“. Und so bleibt der größte Aufreger, den sie an diesem Tag produzieren, die Forderung nach einem bundesweiten Böllerverbot. Real, man kann das so deutlich sagen, passiert sonst nichts. 

Drei Gründe, warum die Grünen so handeln

Friedrich Merz sollte trotzdem nicht den Fehler machen, das grüne Verhalten mit Großzügigkeit zu verwechseln. Denn es gibt drei Gründe für die Grünen, so zu handeln. Alle drei sind rational. 

Erstens: Die Grünen sind erwachsen genug, um zu wissen, dass regieren besser ist, als nicht zu regieren. Sie wissen, dass Schwarz-Grün ihre realistischste, womöglich sogar einzige Option ist, wenn sie nach der Wahl weiter an der Macht beteiligt sein wollen –Markus Söder hin oder her. Ein Ausschluss führte zudem ihre ewige Söder-Kritik ad absurdum.  

Dieser Regierungswille lässt auch Parteilinke stillhalten, wenn Habeck der Union weiter die ausgestreckte Hand reicht. „Keiner macht keine Fehler“, sagte der grüne Kanzlerkandidat. Man könne sie korrigieren. „Dann aber schnell.“ Fürs Erste muss das reichen. 

Zweitens ist aus grüner Sicht keineswegs ausgemacht, ob und wie viel Merz von dem Polit-Stunt profitieren würde. Bei den härtesten Unions-Ultras mag das Vorhaben auf Jubel stoßen, aber wie verhielte sich die Laufkundschaft, jene Leute, denen eine CDU rheinisch-liberalen oder nordisch-gelassenen Zuschnitts ganz lieb ist? Merz verschiebt die Koordinaten der Union gerade so weit nach rechts, dass er in der Mitte eine Lücke reißt – in welche die Grünen allzu gerne selbst vorstoßen wollen. 

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30.000 neue Mitglieder haben sie seit ihrem Neustart im Herbst hinzugewonnen. So viele wie keine andere Partei. Trotz Ampel-Aus. Ja, Habeck und Co. machen Fehler, aber alles scheinen sie nicht verkehrt zu machen. 

Drittens reicht ein Blick nach Österreich, um zu erkennen, wohin es ein Land bringt, wenn die Brandmauer nach rechts einreißt und ausgerechnet zwischen demokratischen Parteien neue errichtet werden: in die Unregierbarkeit. Am Ende ist es die reine „Staatsverantwortung“, von der Außenministerin Annalena Baerbock spricht, die die Grünen unter diesen Umständen davon abhält, eine Koalition mit der Merz-Union von vornherein auszuschließen.  

Auch das wirkt deutlich erwachsener als die kraftmeiernde Ansage von CDU-General Linnemann: „Wenn wir keinen Koalitionspartner haben, der hier mitgeht, dann können wir halt nicht regieren.“

Hier kommt der Haken  

Natürlich ist das völliger Unsinn, doch hier kommt der Haken: Es dürfte den Grünen alles nichts helfen. Friedrich Merz wird von dem Baum, auf den er jetzt geklettert ist, nicht wieder herunterkommen. Dass er nach der Wahl von seinem 5-Punkte-Plan abrückt, für den er nun, wie er sagt, „All in“ geht, ist so unwahrscheinlich wie die Annahme, dass die Grünen nach dem Wahltag ihr „Europa united“ vergessen haben. Genauer: Es ist ausgeschlossen. 

Machtpolitisch bedeutet das: Wer vor der Wahl auf einem so zentralen Feld wie der Migrationspolitik gemeinsame Sache mit der AfD machen will, der kann nach der Wahl schlecht mit Leuten regieren, die das glatte Gegenteil für richtig halten. Da ist kaum Platz für einen Kompromiss. Entweder Merz verzwergt sich, schon bevor er zum Kanzler gewählt wäre, zur politischen Witzfigur. Oder es zerreißt die Grünen. 

Mit anderen Worten: Schwarz-Grün auf Bundesebene schien noch nie so unwahrscheinlich wie jetzt. Drei Wochen vor der Wahl ist nicht viel mehr übrig als eine Illusion.