Gegen den Grünen Stefan Gelbhaar kamen im Dezember Belästigungsvorwürfe auf. Nun scheinen sie sich in Luft aufzulösen. Was passiert da gerade bei den Berliner Grünen?
Die Berliner Grünen werden derzeit von einer Intrige erschüttert. Auslöser sind Belästigungsvorwürfe gegen den Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar, die offenbar zumindest teilweise frei erfunden sind. Recherchen des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB)und des Berliner „Tagesspiegel“ legen den Verdacht nahe, dass die Vorwürfe von einer Grünen-Bezirkspolitikerin unter falscher Identität erhoben wurden. Am Samstag verließ dann die Grünen-Bezirkspolitikerin Shirin Kreße die Partei. Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wer ist Stefan Gelbhaar?
Der Berliner Grünen-Politiker Gelbhaar ist seit 2017 Mitglied des Bundestags. Bei der Wahl 2021 hatte er das Direktmandat im Wahlkreis Pankow in der Hauptstadt gewonnen.
Was ist über die Vorwürfe gegen ihn bekannt?
Die Belästigungsvorwürfe gegen Gelbhaar kamen im Dezember auf. Medien berichteten. Der RBB bezog sich bei seiner Berichterstattung auf Vorwürfe von Frauen, die diese dem Sender zum Teil eidesstattlich versichert haben sollen.
STERN PAID 52_24 Schwarz-grüne DJsOb der ARD-Sender die Personen alle selbst getroffen und wie er deren Aussagen überprüft hat – das ist im Detail nicht bekannt. RBB-Chefredakteur David Biesinger teilte auf Anfrage der Nachrichtenagentur DPA aber mit: „Uns ist als RBB in der Recherche ein Fehler unterlaufen. Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden.“
Wie reagierte Gelbhaar auf die Vorwürfe?
Gelbhaar wies alle Anschuldigungen stets zurück. Er verzichtete nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gleichwohl auf eine Kandidatur für den Bundestag über die Landesliste. An Silvester erklärte er auf seiner Webseite: „Die Vorwürfe sind gelogen.“ Bei dem Vorgang müsse es sich „um eine in Teilen geplante Aktion“ handeln mit dem Ziel, ihn massiv zu diskreditieren.
In einem „Business Insider“-Interview vom 9. Januar betonte Gelbhaar, niemals jemanden absichtlich belästigt zu haben. Gegen ihn lägen auch keine Strafanzeigen vor. „Nein, im Gegenteil. Ich habe Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verleumdung gestellt“, sagte Gelbhaar dem Online-Medium. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Sonntag nochmals, dass bisher keine Anzeigen gegen Gelbhaar vorlägen.
Wann kamen Zweifel an den Vorwürfen auf?
Der genaue Zeitpunkt ist unklar. Bekannt ist: Am Freitagabend machte der RBB bekannt, dass er einen Teil der Berichterstattung lösche. Es gebe Zweifel an der Identität einer Frau, die eine eidesstattliche Versicherung abgegeben habe, hieß es. Mittlerweile stehe fest, dass sie nicht diejenige gewesen sei, für die sie sich ausgegeben habe, so der RBB. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“ Recherchen hätten zu einer grünen Bezirkspolitikerin geführt, die der RBB nicht namentlich nannte.
Tage zuvor hatte bereits der „Tagesspiegel“ berichtet, dass es Zweifel an der Identität der angeblichen Zeugin gebe, von der die schwersten Vorwürfe erhoben wurden. Die Zeitung schrieb am Wochenende, dass die Redaktion bereits am Montag eine Anfrage an den RBB gesendet, aber keine Rückmeldung erhalten habe. Am Freitagabend berichtete dann der RBB selbst und berief sich auf eigene Recherchen.FS Ampel-Momente 09.33
Der „Tagesspiegel“ meldete vor Tagen unter Berufung auf eigene Recherchen, dass an der in einer eidesstattlichen Versicherung einer Frau vermerkten Adresse jedoch nicht ihr Name an einer Klingel oder an einem Briefkasten zu finden sei. Auch eine Abfrage im Einwohnermelderegister habe gezeigt, dass die Urheberin einer eidesstattlichen Versicherung offenbar nicht an der angegebenen Adresse gemeldet sei, hieß es weiter von der Zeitung.
Der RBB-Chefredakteur teilte mit, die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität sei von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden. Details wurden nicht genannt. Laut RBB wurde gegen die Person Strafanzeige gestellt, die die falschen Erklärungen abgegeben haben soll.
Was ist über den Parteiaustritt der Grünen-Politikerin Shirin Kreße bekannt?
Am Samstag wurde bekannt, dass die Berliner Bezirkspolitikerin Shirin Kreße aus der Partei ausgetreten ist. Am Sonntag bestätigte sie der Nachrichtenagentur DPA, dass sie auch ihr Mandat in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Berlin-Mitte niedergelegt und ihren Job in einem Grünen-Abgeordnetenbüro gekündigt habe. „Grund dafür ist, dass während ich mich mit den Vorwürfen, die gegen mich erhoben wurden, auseinandersetze, ich möglichen Schaden von der Partei, aber auch Betroffenen sexualisierter Gewalt abwenden möchte“, erklärte sie.
Fall Gelbhaar: Grüne Bezirkschefin tritt zurück. 10.15Zuvor hatten die Grünen-Vorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak mit dem Rauswurf aus der Partei gedroht, sollte die verantwortliche Person ein Parteimitglied sein.
Was sagt die Grünen-Spitze zu dem Fall?
Zum Austritt von Kreße äußerte sich die Bundesspitze auf DPA-Anfrage zunächst nicht. Nach Überzeugung von Außenministerin Annalena Baerbock hat der Wahlkampfmanager von Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck, Andreas Audretsch, nichts mit der möglichen Intrige gegen Gelbhaar zu tun. Als Außenministerin könne sie zu dem Fall nichts sagen, darum kümmerten sich die Parteizentrale und die Ombudsstelle der Partei, betonte die Grünen-Politikerin in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.
Auf die Frage, ob Gelbhaar noch einen Listenplatz für die Bundestagswahl bekommen könnte, falls sich die Vorwürfe endgültig als unwahr herausstellen sollten, antwortete Baerbock, dies sei Sache der Gremien.
Sind die Vorwürfe denn nun vom Tisch?
Dem RBB zufolge sind bislang nicht alle Vorwürfe gegen Gelbhaar ausgeräumt. „Aber mindestens ein wesentlicher Vorwurf, über den wir berichtet hatten, schon“, erklärte RBB-Redakteur Thorsten Gabriel am Freitagabend. Es habe noch „weitere Schilderungen“ gegeben. Die Vorwürfe hätten aber eine deutlich geringere Fallhöhe. Um was es dabei konkret ging, blieb zunächst unklar.
Wenn Metoo zur Waffe wird – Kommentar. 14.30Seit mehreren Wochen prüft auch die Ombudsstelle der Grünen die Vorwürfe. Ergebnisse sind bislang nicht bekannt. Ob die aktuellen Entwicklungen Auswirkungen auf die Aufarbeitung in der Ombudsstelle haben und ob sich die falsche Zeugin auch dort gemeldet hatte, blieb auch nach mehreren DPA-Anfragen dazu offen. Auch die Grünen-Pressestelle reagierte zunächst nicht auf entsprechende Nachfragen.
Was bedeutet der Fall für die Grünen im Wahlkampf?
Der Fall sorgt für Unruhe – auch weil bislang nicht vollständig geklärt ist, was an den übrigen Vorwürfen gegen Gelbhaar dran ist und ob es möglicherweise noch weitere Beteiligte gibt. Die Union griff das Thema im Wahlkampf bereits auf und sprach von einem „brutalen Hauen und Stechen“ im direkten Umfeld von Kanzlerkandidat Robert Habeck.
Habecks Wahlkampfmanager Andreas Audretsch erklärte am Wochenende, „mit dem gesamten Vorgang nichts zu tun“ zu haben. Audretsch und Gelbhaar wollten ursprünglich beide für Platz zwei auf der Landesliste kandidieren. Nachdem Gelbhaar vor dem Hintergrund der Vorwürfe seine Kandidatur kurz vor dem Landesparteitag zurückgezogen hatte, wurde Audretsch gewählt. Der Listenplatz zwei gilt als so gut wie sicher, um in den Bundestag einziehen zu können.
Wie geht es für Gelbhaar jetzt weiter?
Für Gelbhaar gilt die Unschuldsvermutung. Der politische Schaden für ihn ist dennoch schon jetzt groß. Seine Karriere als Bundestagsabgeordneter ist wohl vorerst beendet. Bei der wegen der Vorwürfe wiederholten Abstimmung über die Direktkandidatur für den Bundestag unterlag er am 8. Januar der Landesabgeordneten Julia Schneider mit deutlichem Abstand. Bei der ersten Wahlversammlung Mitte November war Gelbhaar noch mit 98,4 Prozent der Stimmen zum Direktkandidaten gewählt worden. Am Wochenende teilte der Kreisverband mit, an Schneider als Direktkandidatin festhalten zu wollen.