Mit Herbert Kickl steht ein Rechtsextremer kurz davor, Kanzler von Österreich zu werden. Die AfD wird die Taktik seiner FPÖ genau studiert haben – ebenso wie ihr Netzwerk.
Der „Volkskanzler“ ist seinem Ziel so nah wie noch nie. Herbert Kickl könnte schon bald ins österreichische Kanzleramt einziehen. Es fehlt nur noch ein kleiner Schritt bis zum ersten „blauen“ Regierungschef: Die ÖVP muss umkippen, ihr Versprechen brechen, nicht mit Kickls rechtsextremer FPÖ zu koalieren. Und sie wird es voraussichtlich tun. Ob zähneknirschend, ob aus „staatspolitischer Verantwortung“, ob aus Machteifer: All das wird Kickl egal sein. Das Kanzleramt wäre ihm in einem blau-schwarzen Bündnis nicht zu nehmen.
Was sich derzeit in Österreich abspielt, ist ein Traum für Rechtspopulisten: Die FPÖ ist Wahlsieger der Nationalratswahl, die übrigen Parteien haben sich in gescheiterten Koalitionsverhandlungen zerlegt. ÖVP-Kanzler Karl Nehammer ist zurückgetreten. Politisch liegt Wien in Trümmern. Die FPÖ ist nun das, was sie immer beschworen hat: die einzige Alternative zu den angeblich „korrupten Eliten“, zum „Mainstream“, zu den etablierten Parteien.
Für die AfD ist die FPÖ Schwesterpartei und Vorbild
Die AfD dürfte sehr genau beobachten, was in der benachbarten Alpenrepublik gerade passiert. Die FPÖ ist zugleich Schwesterpartei und Vorbild für die Alternative für Deutschland. Beide Parteien sind in ihrer Ideologie und durch ihre Netzwerke eng verwoben. Allen voran durch die Identitäre Bewegung (IB). PAID Kickl vor der Kanzlerschaft. 20.50
Das Verhältnis der IB zur AfD ist heute am gleichen Punkt, an dem es vor wenigen Jahren auch zur FPÖ war.In Deutschland hat die AfD durch einen Unvereinbarkeitsbeschluss versucht, sich von der vom deutschen Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Bewegung zu distanzieren. Die aktuelle Parteiführung um Alice Weidel und Tino Chrupalla betont, man wolle mit der IB nichts zu tun haben. Obwohl immer wieder aufgedeckt wurde, dass insbesondere die AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) beste Kontakte zu den Identitären pflegt.
Genauso ging die FPÖ unter ihrem ehemaligen Parteivorsitzenden Heinz-Christian Strache vor. Der damalige Vizekanzler sagte sich und seine Partei immer wieder von der IB los, auch wenn er gewusst haben dürfte, dass Teile der FPÖ und ihrer Jugendorganisation eng mit den Rechtsextremisten vernetzt waren – und es bis heute sind. Als Strache 2019 über die „Ibiza-Affäre“ stolperte und seinen Hut nehmen musste, übernahm Herbert Kickl und begann die IB zu enttabuisieren und enger an die Partei zu binden. Das Schmuddelkind-Image sollte weg. Die Organisation, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich in den Verfassungsschutzberichten auftaucht, sei ein „interessantes und unterstützenswertes Projekt“, sagte Kickl 2021.
Die Empörung übernimmt die IB, die Inhalte die FPÖ
Seit Kickl die Geschicke der FPÖ lenkt, sind auch die letzten Hemmungen, die es vielleicht beim Blick nach ganz rechts außen gab, gefallen. Begriffe wie „Festung Österreich“ und „Remigration“ wanderten aus dem Wortschatz der Identitären Bewegung direkt ins Wahlprogramm der FPÖ.
Die IB erfüllt dabei zwei Aufgaben gleichzeitig: Sie ist Thinktank und Sturmtrupp in einem – Ideengeber der Partei und Taktgeber auf der Straße. Mit ihrer Hilfe konnte sich die FPÖ in aller Ruhe und leise weiter radikalisieren. Das Getöse und die Empörung übernimmt die IB, die radikalen Einwürfe übernimmt die FPÖ – wenn sich die erste Aufregung gelegt hat. Inhaltlich ist Kickl nicht weniger extrem als die Identitären, aber solange er nicht als erster extreme Forderungen ausspricht, kann er sich als moderater Staatsmann inszenieren. Eine Taktik, die ihm nun das Kanzleramt bescheren dürfte.
Kickl und sein Werdegang könnten auch der AfD weiter Auftrieb geben. Zwar wirken die deutschen Blauen heute noch etwas radikaler als ihre österreichische Schwester – weshalb ihr die Rechtsaußenparteien im EU-Parlament eine Zusammenarbeit verweigern und sich, anders als bei der FPÖ, auch im eigenen Land keine Partei mit ihr einlassen will. Doch auch in Deutschland wirkt das Netzwerk aus Vorfeldorganisationen wie der IB und einer Partei wie der AfD. Worte wie „Remigration“ sind auch hierzulande im Sprachgebrauch angekommen und im vergangenen Jahr grölten in Deutschland vielerorts Jugendliche angeblich als Scherz ausländerfeindliche Parolen. STERN PAID 24_24 Neue Reiche Rechte 1225
Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wurde die AfD sogar stärkste Kraft bei den jungen Wählern – ausgerechnet in den Bundesländern, in denen die Partei am extremistischenauftritt.
Österreich könnte für die AfD wie ein Blick in die Zukunft sein
Für die deutschen Rechtspopulisten ist eine von vielen Lehren aus Österreich: Radikalismus kann ein Erfolgsrezept sein. Die Alpenrepublik mag für die AfD wie ein Testfeld wirken, auf dem erprobt wird, wie weit man mit rechtsextremer Politik gehen kann, ohne die Wähler vor den Kopf zu stoßen. Zwar ist die österreichische Bevölkerung noch ein ganzes Stück (national-)konservativer als die deutsche, doch dass die FPÖ so radikal auftritt, wie sie es in den vergangenen Monaten getan hat, wäre noch unter Strache undenkbar gewesen. Unter Kickl aber lässt die Partei zunehmend ihre bürgerliche Maske fallen. Auch, weil der Chef der Partei gleichzeitig ihr Chefideologe ist. Martin Sellner18:32
Der Erfolg der FPÖ ist auch ein Erfolg der Taktik Kickls, rechtsextreme, außerparlamentarische Organisationen wie die Identitäre Bewegung zu enttabuisieren und legitimieren. Die AfD wird sich in den vergangenen Monaten fleißig Notizen gemacht haben, wie und mit welchem Erfolg die FPÖ mit der IB zusammengearbeitet hat. Wer weiß, ob die Brandmauer zwischen AfD und IB nicht schon sehr bald öffentlich eingerissen wird. Wenn nicht vor der Bundestagswahl, dann vielleicht kurz danach.