Freitagabend wurde der Deutsche Cartoonpreis verliehen. Die zahlreichen Krisen der Gegenwart würden für Politisierung des Genres sorgen, sagt Jurymitglied Saskia Wagner.

Frau Wagner, der schreckliche Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo jährte sich gerade zum 10. Mal. Wie steht es heute um die Freiheit und den Mut der Cartoonszene?
Wir haben bei der Verleihung des Deutschen Cartoonpreises auch an die Opfer des damaligen Anschlags erinnert und im KulturBahnhof Kassel eine Ausstellung im Andenken an das Attentat auf Charlie Hebdo eröffnet. Tatsächlich stellen wir fest, dass die Karikatur gerade wieder politischer wird, was sicher der aktuellen Weltlage mit ihren diversen Krisen und gesellschaftlichen Schieflagen geschuldet ist. Vor allem junge Zeichnerinnen und Zeichner orientieren sich wieder an politischen Themen.

Cartoonpreis 2025: Der erste Platz ging an Markus Grolik aus München. Sein Siegerbeitrag thematisiert die Wohnungsnot in Deutschland. „Mit seinem Cartoon schafft Grolik einen vielschichtigen Kommentar zu den gesellschaftlichen Herausforderungen des modernen Lebens, das er in einem Bild und mit wenigen Strichen verdichtet“, so die Jury.
© Markus Grolik/Lappan Verlag 2024

Was bewegt die Cartoonisten zurzeit besonders?
Der Deutsche Cartoonpreis wird von der Ausstellung „Beste Bilder“ in der Caricatura Galerie Kassel begleitet, die sozusagen die Shortlist zum Preis zeigt. Wir haben insofern einen guten Überblick und sind ein Gradmesser. Seit geraumer Zeit ist aus nachvollziehbaren Gründen der Klimawandel ein großes Thema, ebenso Rechtsruck und Rechtspopulismus, Energie- und Mobilitätsthemen spielen eine Rolle, und weiterhin konkrete, tagesaktuelle politische Themen.

Cartoonpreis: Weniger schnelle Lacher, mehr Gesellschaftskritik

Gewonnen hat ein Cartoon des Münchners Markus Grolik, der die Notlage am Wohnungsmarkt thematisiert. Was hat in der Jury den Ausschlag gegeben? 
Grolik setzt sich in mit dem Thema Wohnungsnot auseinander und bringt auf gleich mehreren Ebenen weitere Themen ins Spiel, etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in einer Welt, die zunehmend von steigenden Mietpreisen und fehlenden Betreuungsmöglichkeiten geprägt ist. Vom Fehlen einer echten Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ganz zu schweigen.

Zweiter Platz beim Cartoonpreis: Hauck & Bauer aus Berlin und Frankfurt am Main. „Der Cartoon ist unglaublich komisch, die Fallhöhe ist riesig, wenn es um Leben und Tod geht, ist doch eigentlich jedem vollkommen egal, wer einen rettet,“, befand die Jury.
© Hauck & Bauer/Lappan Verlag 2024

Was sind für Sie die wichtigsten Kriterien für einen gelungenen Cartoon?
Im Idealfall sollte ein Cartoon lustig sein, das liegt auf der Hand. Gleichzeitig sollte es gelingen, am Puls der Zeit zu liegen, aktuelle Themen so darzustellen, dass der Blick auf ein Thema geschärft, vielleicht sogar verändert wird. Wir versuchen jene Cartoons zu finden, die das am virtuosesten umsetzen.

Guter Punkt: muss ein Cartoon, eine Karikatur zwingend lustig sein?
Die Politisierung der letzten Jahre hat dazu geführt, dass es weniger um den schnellen Witz und den herzhaften Lacher geht. Tatsächlich muss ein Cartoon nicht immer schreiend komisch sein, dann geht mehr es um eine Witzstruktur, die dazu führen soll, dass sie uns zum Nachdenken anregt und vielleicht dazu anregt, uns selbstkritisch zu hinterfragen.

Cartoonpreis: Die Sonder-Auszeichnung des Publikums ging an Oli Hilbring aus Bochum
© Oli Hilbring/Lappan Verlag 2024

Hat die Digitalisierung die Cartoonwelt verändert?
Der Einfluss ist groß, in den sozialen Medien sind die Menschen oft auf den schnellen Lacher aus. Ich bin sehr gespannt, wie sich das in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird. Und selbst auf formaler Ebene hat die Digitalisierung hat vor allem das quadratische Instagram-Format Einfluss genommen. Durch Memes ist inzwischen eine eigene neue Sparte entstanden, die wir durchaus ernst nehmen. Für Zeichnerinnen und Zeichner stellen die sozialen Medien zwar eine schöne Fanbase dar, gleichzeitig ist es schwierig, daraus Einnahmen zu generieren.

Die Netzkultur hat auch andere Sitten und Befindlichkeiten. Ist dadurch die Cartoon-Szene politisch korrekter geworden?
Es gibt eine Tendenz. Wir stellen mehr Achtsamkeit fest, besonders was Sprache belangt, aber auch in den Themen. Das gilt es stets neu auszuverhandeln, wieviel Härte braucht es und ist sie manchmal auch notwendig? Und wenn ja an welcher Stelle? Muss man vielleicht ein bisschen sensibilisiert an Themen rangehen? Ich glaube, das ist etwas, was in der Szene im deutschsprachigen Raum gerade auch sehr intensiv diskutiert wird.

Saskia Wagner, 1982 in Kassel geboren, arbeitet seit 2009 in der Kasseler Galerie für komische Kunst Caricatura, die sie seit Januar 2024 auch leitet. Sie ist Jurymitglied beim Deutschen Cartoonpreis.
© Jörg Kempe/Caricatura

Sie haben zu Beginn den Aufstieg von Rechtspopulisten und Rechtsextremen angesprochen. Sind absurde Figuren wie Trump, Höcke oder Kickl auch ein Geschenk für Karikaturisten?
Meine Großmutter hat immer gesagt, nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendwas gut wäre. Ich glaube in der Tat, dass es einige Figuren auf der Bildfläche gibt, die hervorragendes Cartoon-Material abgeben. Jenseits der Fassungslosigkeit, mit der man auf die Entwicklung blickt, dass undemokratische und rechtspopulistische Parteien gerade ganz gute Wahlergebnisse einfahren.