Es gibt politische Skandale, die starten mit einem Knall. Ein Aufschrei geht durchs Land, Journalisten und Oppositionspolitiker stürzen sich darauf, fordern Aufklärung und Konsequenzen. Wenn sich die Staubwolken der Explosion gelegt haben, zeigt sich, was davon übrig bleibt.

Es gibt aber auch Skandale, die sich langsam entwickeln. Wie ein Schwelbrand, der unbemerkt vor sich hin kokelt und sich immer weiter ausbreitet, bis irgendwann die Flammen großflächig emporschießen. Die seit anderthalb Jahren schwelende Visaaffäre im Auswärtigen Amt könnte ein solcher Fall sein. Wann wird sie zum offenen Brand?

Sicherheitsbedenken wurden zur Seite geschoben

Es geht um gefälschte Pässe, zweifelhafte Verwandtschaftsverhältnisse und mutmaßliche Tarn­identitäten. Und darum, dass Deutschland seit Annalena Baerbocks Amtsantritt sehr großzügig und ohne genau hinzusehen Einreiseerlaubnisse an Einwanderer aus aller Welt verteilt. Sicherheitsbedenken nimmt die Außenministerin nicht ernst.

Sie hat in ihrer Behörde ein migrationsfreundliches Klima geschaffen, in dem sich Beamte dazu berufen fühlen, geltendes Recht zu brechen, um Visa möglichst schnell und reibungslos auszustellen. Gegen einzelne Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft. Einiges deutet darauf hin, dass das erst der Anfang ist.

Aus einem Einzelfall wird ein System

Henning G., damals als Referent im Auswärtigen Amt für strittige Visafälle zuständig, schrieb im Dezember 2022 eine E-Mail an die Visastelle in Islamabad. An der Identität des Antragstellers bestünden „eigentlich keine Zweifel, falscher Pass hin oder her“, behauptete er. Und machte als Vorgesetzter massiven Druck: Er möchte „trotz des falschen Passes an der Weisung zur Visumerteilung festhalten“. Der Referent hatte zuvor vor dem Verwaltungsgericht Berlin dem gegen die Bundesrepublik klagenden Mohammad G. nachgegeben und der Erteilung eines Visums zugestimmt. Dass dessen Pass gefälscht war, fiel erst danach auf.

Diese interne E-Mail mit der Anweisung, sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen, nahm die AfD-Bundestagsfraktion zum Anlass, im Mai 2023 Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen Henning G. zu stellen. Eine weitere Strafanzeige gegen unbekannt ging von einem ehemaligen Mitarbeiter des Innenministeriums ein. Beide Verfahren wurden zusammengelegt, die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt seit mehr als einem Jahr. Henning G. wurde versetzt. Er arbeitet an einer Botschaft in Skandinavien, mit Visaverfahren hat er dort nichts mehr zu tun.

Man könnte das Ganze als Einzelfall abtun, als Verfehlung eines unter Druck stehenden Beamten, der mal ein Auge zudrücken und Menschlichkeit über Bürokratie stellen wollte. Doch das wäre falsch. Es ist kein Einzelfall. Es hat System. Neue Cicero-Recherchen zeigen, wie sich im Auswärtigen Amt unter Annalena Baerbock eine „No nations, no borders“-Ideologie durchgesetzt hat, die blind ist für die Gefahren einer allzu naiven Einwanderungspolitik und Sicherheitsexperten verzweifeln lässt.

„Aktionsplan Afghanistan“ verändert das Ministerium

Dass Baerbock sich als Außenministerin für die möglichst unkomplizierte Aufnahme möglichst vieler Verfolgter einsetzen will, machte sie von Anfang an klar. Zwei Wochen nach Amtsantritt, am 23. Dezember 2021, stellte sie ihren „Aktionsplan Afghanistan“ vor. „Wir werden bürokratische Hürden abbauen, um die Aufnahme und die Einreise nach Deutschland für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen zu erleichtern“, kündigte die Grünen-Politikerin an. „Unser Ziel muss der Aufbau nicht einer, sondern mehrerer humanitärer Luftbrücken von Afghanistan nach Deutschland sein.“ Den großen Worten folgten Taten. Und die erstreckten sich bei Weitem nicht nur auf Flüchtlinge aus Afghanistan.