Aus Angst vor Rassismusvorwürfen handelten Politiker wie Angela Merkel teilweise zu lasch, sagt Güner Balci, mit fatalen Folgen. Sie spricht von einem „Rassismus der niedrigen Erwartungen“.

Die Integrationsbeauftragte von Berlin-Neukölln, Güner Balci, kritisiert einen sehr nachsichtigen Umgang mit Migranten. Viele Wissenschaftler und Politiker versuchten, die Realität auszublenden und sich nur auf das Gelungene zu konzentrieren, sagte Balci im Interview der „Welt“. Auch aus Angst vor Rassismusvorwürfen fahren manche ihr zufolge einen geschmeidigen Kurs. „Man läuft immer Gefahr, das Falsche zu sagen und sich sehr viele Feinde zu machen, wenn man die Dinge benennt.“ 

Migranten schockiert von Strukturen hierzulande

Das Thema sei jedoch gesellschaftlich extrem relevant, auch unter Zugewanderten. „In Berlin hat die homophobe, antisemitische und frauenverachtende Gewalt zugenommen in muslimischen Nachbarschaften“ sagt Balci. Viele Migranten aus muslimischen Ländern möchten ihr zufolge jedoch in einer individualisierten Gesellschaft leben, „sie wollen das Freie, was ihnen in ihren Ländern oft nicht möglich war“, landeten hier aber teilweise in Strukturen, vor denen sie in ihren Ländern geflüchtet sind und seien schockiert. „Sie sagen uns immer wieder: „Ihr lasst denen hier einen zu großen Spielraum. Wir sind aus Ländern geflohen, weil wir genau das nicht wollten.““ 

Migranten sind „keine Streichelausländer“

Es sei lange eine Politik mit einem „Rassismus der niedrigen Erwartungen“ betrieben worden: „Unsere ehemalige Kanzlerin, eine Frau, die aus dem Osten so viele Erfahrungswerte einer Diktatur im Gepäck hatte, hat nie erkannt, dass Migranten nicht Streichel-Ausländer sind, sondern auf Augenhöhe mit ihr, und man genauso damit umgehen muss“, sagte Balci über Angela Merkel (CDU). 

Merkel habe einen Blick auf Migration gehabt, der sich nicht auf Erfahrungswerte stützte, sondern aufs Akademische. „Auf Menschen mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte, die ihr erklären, dass jede Kritik an Islamverbänden Rassismus ist, um es einmal herunterzubrechen“, sagte Balci im Interview. 

Starker Staat, starke Justiz

Einwanderung könne man „nicht einfach so laufen lassen“. Es brauche kluge legale Einwanderungsmöglichkeiten. „Wir brauchen einen starken Staat, und wir brauchen eine starke Justiz. Die staatlichen Institutionen müssen viel besser ausgestattet sein und stärker durchgreifen.“ Vor allem aber brauche es ein Gesamtkonzept, das nicht nach einer Legislatur durch eine neue Idee ersetzt werde.