Barrierefreiheit bedeutet längst nicht mehr nur freie Fahrt für Rollstühle und Rollatoren. Gehörlose, Blinde und Menschen mit anderen Einschränkungen sollen Theater und Museen erleben können.
Die Kinder werden vor der Vorstellung das „Hase und Igel“-Bühnenbild betasten, Kostüme und Perücken fühlen. Sie werden sich auf die Besucherplätze setzen und dabei Kopfhörer tragen. Das Thalia Theater Halle bietet blinden und sehbeeinträchtigten Kindern im Schauspiel erstmals eine Aufführung mit Audiodeskription. Während der Vorstellung am 13. Dezember mit viel Musik wird den Kindern das beschrieben, was sie nicht sehen können. Im Frühjahr sind an den Bühnen Halle weitere Angebote geplant: Dann ist die Oper „La Bohème“ mit Audiodeskription zu erleben, für ein anderes Stück gibt es eine Übersetzung in Gebärdensprache.
Viele Kultureinrichtungen wie Theater und Museen in Sachsen-Anhalt unterbreiten Menschen mit besonderen Bedürfnissen spezielle Angebote. Barrierefreiheit bedeutet nicht mehr nur, wie weit man mit dem Rollstuhl kommt oder dass spezielle Parkplätze zur Verfügung stehen.
Audiodeskription kostet nichts extra
Das Theater Magdeburg hat mit der Audiodeskription schon mehr Erfahrungen gesammelt. In der vergangenen Spielzeit seien 25 Karten an blindes oder seheingeschränktes Publikum und Begleitpersonen verkauft worden. Die Zahlen seien nicht hoch, sagte Sprecherin Lisa Dreßler, aber es habe durchweg gutes Feedback gegeben. Und man hoffe darauf, dass diejenigen, die das Angebot genutzt hätten, wiederkämen.Das Theater setze die Angebote auch in dieser Spielzeit fort, etwa am 8. Dezember und am 18. Januar mit der Oper „Carmen“ und im neuen Jahr mit der Oper „I Capuleti e i Montecchi – Romeo und Julia“ am 13. und 23. Mai. Dann sind nach einer Tastführung auf der Bühne jeweils 20 Plätze in den ersten drei Reihen für Sehbehinderte und ihre Begleitung reserviert. Über 20 Geräte, die für die Audiodeskription nötig sind, verfügt das Haus. Das Angebot kostet die Besucher nichts extra. Es sei im Eintrittspreis enthalten, so das Theater.
Tastbilder und Führungen in Gebärdensprache
Auch Museen haben sich längst auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen eingestellt – und die Angebote würden von einem breiteren Publikum genutzt, sagte die Sprecherin des Kunstmuseums Moritzburg Halle, Katrin Greiner. Das Tastbild „Die Weiße Katze“ etwa sei längst nicht nur Anlaufpunkt für sehbehinderte Menschen, sondern auch für Sehende von Klein bis Groß. Die Katze ist eines von fünf Tastobjekten im Haus. Das Haus ließ Gemälde reliefartig nachbilden – so ist mit den Fingern spürbar, was sonst flach an der Wand hängt.
Die Moritzburg bietet zudem Führungen für verschiedene Zielgruppen an – in einfacher Sprache, Gebärdensprache und auch für Menschen mit Demenz und ihre Begleitung. Während für die Gebärdensprache-Führungen für das kommende Jahr mit der Baugeschichte ein zweites Thema geplant sei, müssten manche Angebote ihr Publikum erst noch erreichen. Die Führungen für Menschen mit Demenz würden bislang „ganz selten“ genutzt, sagte Katrin Greiner. Das Museum nehme deshalb nun Kontakt zu betreuenden Einrichtungen auf.
Beim Museumsverband Sachsen-Anhalt hieß es, das Bewusstsein für das Thema Inklusion sei in den Häusern da, auch bei den kleinen. Audioguides, die vielfach zum Standard gehörten, seien auch für sehbehinderte Menschen eine Hilfe, sagte Geschäftsführerin Luisa Töpel.
Texte in einfacher Sprache
Im Gleimhaus in Halberstadt, dem Museum der deutschen Aufklärung, war gleich klar, dass die Neugestaltung der Dauerausstellung mit neuen Ansätzen einhergeht. „(Johann Wilhelm Ludwig) Gleim ist selbst in diesem Haus blind geworden“, sagte Direktorin Ute Pott. Es sei der Museumsgrundsatz „Nichts anfassen“ umgekehrt worden in „Alles anfassen“ – außer Gemälde und einige weitere Objekte. Bei der Neugestaltung hätten unter anderem Mitarbeiter der Diakoniewerkstätten geholfen.
So gebe es jetzt eine Hörführung, viele Objekte würden beschrieben. Es gebe Tastobjekte, ein Gutteil der Texte sei in Brailleschrift verfügbar, für Menschen mit Lernschwierigkeiten seien Texte auch in einfacher Sprache verfasst. Nach Fertigstellung habe man aber festgestellt, dass der Zugang für Menschen mit Einschränkungen nicht im ersten Raum beginne. Nachträglich etwa seien die Klingel und auch die Toiletten neu markiert worden. Das habe auch zu Zusatzkosten geführt, so Pott.
Hohe Kosten durch neue Angebote
Barrierefreiheit ist immer auch ein Kostenfaktor. Texte für die Audiodeskription müssen geschrieben und so eingesprochen werden, dass sie genau zum Ablauf der Aufführung passen. Das Theater Magdeburg hat bislang mit einem Haus in Leipzig zusammengearbeitet. Ziel ist aber, künftig ein ausgeweitetes Angebot mit eigenen Kräften auf die Beine zu stellen, sagte Theatersprecherin Dreßler. Und auch die Bühnen Halle haben dieses Ziel. Die Tastmodelle in der Moritzburg in Halle kosten einen fünfstelligen Betrag, wie Sprecherin Greiner sagte. Das Gleimhaus warb zusätzliche Spenden ein.
Die Barrierefreiheit hört bei einigen Kultureinrichtungen allerdings direkt vor der Tür auf. So informiert das Landesmuseum für Vorgeschichte, dessen Barrierefreiheit zertifiziert ist, online: „Bitte beachten Sie: Die Straßenbahnhaltestelle „Landesmuseum für Vorgeschichte“ ist nicht barrierefrei.“