In der Nacht zum 6. Dezember wird auf der Nordseeinsel Borkum „Klaasohm“ gefeiert. Bilder des Magazins „Panorama“ von der Jagd nach Frauen lösen Empörung aus. Gehört Gewalt gegen Frauen zum Fest?

Werden in der Nacht zum 6. Dezember auf der Nordseeinsel Borkum Frauen zum Spaß verprügelt? Ein Bericht über den Nikolausbrauch „Klaasohm“ auf der ostfriesischen Insel hat bundesweit Kritik ausgelöst. In dem Beitrag berichten Frauen anonym von aggressiven Übergriffen. 

Ein Team des ARD-Magazins „Panorama“ filmte im vergangenen Jahr, wie Frauen bei dem Fest auf der Straße von „Fängern“ festgehalten werden und ihnen die sogenannten Klaasohms mit einem Kuhhorn auf den Hintern schlugen. „Was für eine schreckliche Tradition. Wie tief die Unterdrückung von Frauen noch verankert ist“, kommentierte eine Nutzerin den Beitrag des NDR-Reportageformats „STRG_F“, der auf Youtube veröffentlicht wurde.

Kritik kommt auch aus der niedersächsischen Landesregierung. Die Staatssekretärin im Sozialministerium, Christine Arbogast, sagte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, Brauchtum und Traditionen hätten grundsätzlich einen hohen Stellenwert. Sie seien zu respektieren und zu schützen. „Aber es ist klar, dass alles da sein Ende findet, wo sich Frauen unsicher fühlen und Angst vor körperlicher Züchtigung haben“, sagte Arbogast. 

„Wer sich den Hintern mit einem Horn versohlen lassen möchte, darf das tun. Wer das nicht möchte, muss aber auch respektiert werden. An keinem Tag im Jahr darf es so sein, dass Frauen aus Angst vor Hieben zu Hause bleiben und sich nicht auf die Straße trauen.“

Geheimniskrämerei um Brauch

Über die problematische Seite der Tradition spricht so gut wie niemand auf der rund 5.000 Einwohner zählenden Insel öffentlich. Das mag an den Veranstaltern des Fests, dem Verein Borkumer Jungens von 1830 liegen. Nach NDR-Recherchen soll der Verein dazu aufrufen, über den Brauch zu schweigen. 

In einer Stellungnahme räumte der Verein ein, dass das Schlagen mit Kuhhörnern in der Vergangenheit „und in Einzelfällen auch in den letzten Jahren“ Teil des Brauches gewesen sei. „Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen und entschuldigen uns für die historisch gewachsenen Handlungen vergangener Jahre“, teilte der Verein mit. Dieser Teil der Tradition habe jedoch nie den Kern des Fests ausgemacht. In den vergangenen Jahren sei es „fast gar nicht mehr“ erfolgt. Künftig wolle der Verein den „Brauch des Schlagens“ vollständig abschaffen, hieß es weiter. 

Den Brauch gibt bereits seit Generationen jedes Jahr am Abend vor dem 6. Dezember. Nach Angaben des Regionalverbandes Ostfriesische Landschaft verkleiden sich dabei junge, unverheiratete Männer mit Masken, Schafsfellen und Vogelfedern als sogenannte Klaasohms. Der Ausdruck „Klaas“ geht demnach auf das niederländische Wort für Nikolaus zurück. Die Klaasohms begleiten dann einen als Frau verkleideten Mann, der sich als sogenannte Wievke mit Rock und Schürze wild gebärdet. Ausgestattet sind alle mit Kuhhörnern. 

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit kommt es der Tradition zufolge zuerst in einer Halle zu einem rituellen Kampf, zu dem ausschließlich Männer zugelassen sind, die auf Borkum geboren wurden. „Im Anschluss daran ziehen die Männer unter Getöse von Haus zu Haus über die Insel“, beschreibt der Regionalverband in Ostfriesland den Brauch. 

„Junge Frauen, die sich in dieser Nacht aus dem Haus wagen, werden gefangen und mit einem Kuhhorn verhauen. Die Kinder aber werden gut behandelt und bekommen Moppen, ein hartes Honigkuchengebäck, geschenkt“, heißt es weiter. Den Abschluss findet der Brauch demnach auf einem Platz. Höhepunkt sei ein Sprung der Klaasohms und der Wievke von einer meterhohen Säule in die Menschenmenge.

Auf Borkum wird sich erzählt, dass der Brauch auf die Zeit der Walfänger zurückgeht. Die Männer seien am Jahresende zurück auf die Insel gekommen, nachdem sie monatelang auf See waren, und hätten mit dem Brauch klargemacht, dass nun wieder sie – und nicht die Frauen – das Sagen hätten.

Staatssekretärin: Debatte über Brauch „dringend notwendig“

Staatssekretärin Arbogast kritisierte, dass über den Brauch offenbar nicht gesprochen werden solle oder dürfe. „Dabei wäre eine Debatte darüber, ob „Klaasohm“ in dieser Form noch zeitgemäß ist, dringend notwendig“, sagte sie. Bräuche und Traditionen überdauerten die Zeiten dann am besten, wenn sie mit der Zeit gingen. „Die notwendigen Anstöße und Impulse müssen dabei in erster Linie von den Borkumerinnen und Borkumern selbst ausgehen. Hier sind die Beteiligten vor Ort gefragt, eine offene Diskussion zu ermöglichen.“

 

Der Verein Borkumer Jungens teilte mit, der Verein fühle sich verpflichtet, das Fest transparenter zu gestalten, Missverständnisse aufzuklären und die Wogen zu glätten. „Wir verstehen die Kritik an den in der Reportage gezeigten Szenen und fühlen uns verpflichtet, weitere Veränderungen herbeizuführen.“ 

Bürgermeister kritisiert Bericht

Gleichzeitig kritisierten der Verein und der Bürgermeister der Insel, Jürgen Akkermann, dass die Recherche ein verzerrtes Bild des Brauches darstelle. „Die Berichterstattung ist aus meiner Sicht tendenziös und unseriös. Diese Bewertung wird von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der Insel geteilt“, sagte Akkermann auf dpa-Anfrage. 

Die Videosequenz zeige ein Fehlverhalten Einzelner und könne „keinesfalls als Beleg dafür herhalten, dass die Insel Gewalt toleriert, wie es der Bericht suggeriert“. Akkermann teilte weiter mit: „Heutzutage feiern Frauen, Männer und Kinder auf den Straßen, in den Lokalen und in den Häusern gemeinsam. Leider kommen aber positive Stimmen im Bericht nicht zu Wort.“

Die Polizeiinspektion Leer/Emden, die auch für die Sicherheit auf der Nordseeinsel zuständig ist, teilte unterdessen vor dem anstehenden Fest auf Facebook mit, jegliche Form der Gewaltanwendung nicht zu tolerieren. „Sofern wir als Polizei Kenntnis von etwaigen Übergriffen erlangen, werden diese durch uns konsequent und ganzheitlich verfolgt.“ Die aktuellen Medienberichte über „Klaasohm“ würden bei der „polizeilichen Lagebeurteilung“ berücksichtigt, teilte die Polizei in dem Post weiter mit.