Peter Gulacsi, Willi Orban und Dominik Szoboszlai sind eigentlich die Stützen der ungarischen Nationalelf. Wenn es gegen Deutschland zur Überraschung reichen soll, muss sich diese Troika steigern.

Marco Rossi ist mittlerweile schon seit sechs Jahren im Amt. In Ungarn halten sie viel von dem Italiener, der eine angemessene Zurückhaltung mit hoher Expertise paart, und dazu das Land schon viel länger kennt. Sechs Jahre sind eine halbe Ewigkeit für einen Nationaltrainer, was insbesondere auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bestätigen kann. Während Rossi beim zweiten deutschen Gruppengegner in Ruhe arbeiten kann, eine ordentliche EM 2021 gespielt hat, in der Nations League in der Kategorie A vertreten ist und sich für die EM 2024 ohne Niederlage qualifiziert hat, wechselten sich drei Bundestrainer ab: Joachim Löw, Hansi Flick und Julian Nagelsmann. Letzterer trifft nun auf einen erfahrenen Kollegen, der die Magyaren sichtbar vorangebracht hat.

In München 2021 wären die Ungarn fast weitergekommen

Das begann schon vor drei Jahren in der deutschen EM-Vorrundengruppe. Im Juni 2021 war die Puskas-Arena in Budapest gleich wieder proppevoll, während woanders bei der paneuropäischen EM mitten in der Pandemie noch Vorsicht waltete: Das frenetisch angefeuerte Heimteam zahlte zwar gegen Portugal (0:3) erst Lehrgeld, bot dann aber Frankreich die Stirn (1:1) und hätte in München gegen Deutschland (2:2) beinahe noch das Weiterkommen geschafft. STERN PAID 26_24 EM 17.55

Ans damalige Drama erinnert Rossi vor dem Gruppenspiel gegen Deutschland in Stuttgart (Mittwoch 18 Uhr/ARD und Magenta TV). „Es ist fast undenkbar, dass jemand auf uns setzen wird“, sagte der 59-Jährige zwar nach dem Auftakt gegen die Schweiz (1:3), aber den Lerneffekt seines Teams solle bitte niemand unterschätzen. Er ist eigentlich gerade dabei, die Spielphilosophie moderner zu gestalten; nicht mehr nur hinten tief stehen, sondern auch flexibler nach vorne spielen. Zum EM-Auftakt hat das nicht wirklich geklappt.

Trotzdem sind die Ungarn immer besser geworden. Und das hat auch mit Rossi zu tun, der sich eigentlich über jeden freut, der wie sein Mittelfeldabräumer Andras Schäfer (Union Berlin) oder Stürmer Roland Sallai (SC Freiburg) in der Bundesliga Fuß fasst. „Wir brauchen ihre internationale Erfahrung. Inzwischen haben wir es mit Gegnern zu tun, bei den mindestens 70 Prozent der Spieler aus den zehn besten europäischen Ligen kommen.“ Der kurz auch mal bei Eintracht Frankfurt spielende Rossi wird jetzt seine erfahrene Achse mit den meisten deutschen Bezügen in die Pflicht nehmen.

Ungarn-Torwart Gulacsi über Nagelsmann: „absoluter Titelfavorit“

Torwart Peter Gulacsi und Abwehrchef Willi Orban von RB Leipzig als auch der im vergangenen Jahr von den Sachsen zum FC Liverpool gewechselte Kapitän Dominik Szoboszlai sind seine Säulen. Doch bei der Nummer eins geht das Problem los: Gulacsi hat die Aura als einer der besten Ballfänger der Bundesliga nach einem Kreuzbandriss eingebüßt.

Der 34-Jährige brauchte bis Februar, um sich wieder einen Stammplatz in Leipzig zu erobern. Dabei gehört er zu den prägendsten Gesichtern im Brauseklub, bei dem er bereits 2015 anheuerte. „Die meisten Spieler kenne ich, stand gegen sie bereits mehrfach auf dem Platz“, sagt Gulacsi. Seine Wahlheimat habe mit dem Ex-Leipziger Julian Nagelsmann nun auch einen Top-Trainer und sei der „absolute Titelfavorit“. Der Tormann empfiehlt, sich auf bewährte Mittel zu besinnen. „Dicht stehen, solide verteidigen, mit Leidenschaft kämpfen, schnell umschalten. Wir sind taktisch sehr diszipliniert und haben jetzt auch individuelle Qualität“, sagte er der „Magdeburger Volksstimme“. 

Was ihm Mut macht: Die deutsche Nationalelf fand vor zwei Jahren in den Nations-League-Duellen (1:1, 0:1) kaum eine Lücke. Und vor dem Heimvorteil der DFB-Elf fürchtet sich der Schlussmann am wenigsten: „Unsere Fans sind sehr kreativ, wenn es darum geht, an Karten zu kommen. Ich glaube, das wird ein Auswärtsspiel für euch!“ Das war mit einem Augenzwinkern gemeint.

„Wir sind nicht hier, um Kinderfußball zu spielen“

Nun hat es schon in Köln nicht an Unterstützung gemangelt, doch speziell die Defensive patzte gegen die Eidgenossen furchtbar. Auch Abwehrchef Orban erwischte einen rabenschwarzen Tag: Der 31-Jährige reihte mit seinen Nebenleuten Adam Lang (Omonia Nikosia) und Attila Szalai (SC Freiburg) in der Dreierkette Fehler an Fehler. Mit den nun zum VfL Wolfsburg wechselnden Marton Dardai, Sohn von Hertha-Legende Pal Dardai, stände eine junge Alternative bereit, doch Rossi wird jetzt kaum seine Routiniers abstrafen. Den beim 1. FC Kaiserslautern ausgebildeten Orban bezeichnet er ja als einen seiner Anführer: „Er ist der Typ, der nicht zu viel redet, aber wenn er was sagt, dann hören alle zu.“ Obwohl der gebürtige Pfälzer besser Deutsch als Ungarisch spricht. Orban hat genau wie Gulacsi zwei Jahre unter dem heutigen Bundestrainer gespielt. „Julian ist ein hochintelligenter Mensch und Trainer. Die Kadernominierung zeigt seinen klaren Plan. Taktisch hat er viel drauf.“ Text Pryotechnik 17.52

Aber gilt das für sein Team nicht auch? Dann muss vor allem von Spielmacher Szoboszlai jetzt mehr kommen, der mit der Kapitänsbinde seit 2022 die Verantwortung übernahm. Die letzte EM verpasste der 23-Jährige verletzt, umso mehr Erwartungen lasten jetzt auf dem Edeltechniker, der enorme spielerische Veranlagung mitbringt. Doch bei seiner Turnierpremiere wirkte die Nummer zehn nur wie die Karikatur eines Unterschiedsspielers. Ballverluste und Zweikampfführung gerieten zum Ärgernis. Immerhin hat der Anführer begriffen, dass es so nicht geht. „Wir sind nicht hier, um Kinderfußball zu spielen. Wir wollen wirklich weiterkommen, aber dafür müssen wir arbeiten.“ Und am besten auch gegen Deutschland punkten.