Er war der beste Tennisspieler der Welt, vermutlich wurde keiner so verehrt wie er: Im September 2022 beendete Roger Federer seine Karriere. Jetzt schildert eine Doku seine letzten zwölf Tage als Profi – mit Kind und Kegel und seinem liebsten Rivalen.

Am Ende sitzt Mirka Federer da, engelsgleich in weißer Bluse auf weißem Sofa, und überlegt, was ihr fehlen wird, jetzt, da ihr Mann seine Karriere beendet hat. „Ich werde vermissen“, sagt sie und lacht, doch dann stockt sie und ihr kommen die Tränen. „Ich werde vermissen, ihn Tennis spielen zu sehen“, sagt sie dann. „Einfach, weil er so anmutig gespielt hat. So unglaublich. Und ich denke, den Menschen wird es genauso gehen.“

Schluchz, ja!

Er fehlt natürlich, Roger Federer, der größte Tennisstar der vergangenen zwei Jahrzehnte. 2022 machte er Schluss, da spielte er beim Laver Cup ein letztes Doppel mit seinem liebsten Rivalen und guten Freund Rafael Nadal. Mirka Federer hat nie groß über ihren Mann gesprochen, öffentlich, aber nun gibt es die Dokumentation „Federer – Twelve Final Days“ von Oscar-Preisträger Asif Kapadia („Senna“, „Amy“). Sie dokumentiert Federers letzten zwölf Tage als Profi; von jenem Moment an, in dem er einen Brief vorliest, gerichtet „an meine Tennis-Familie und darüber hinaus“. Er hat ihn geschrieben, um darin seinen Abschied zu verkünden. Zwei Tage später wird der gesprochene Brief bei Instagram hochgeladen. Mirka Federer ist bei ihrem Mann, als der Post live geschaltet wird. „Ich hab‘ ihn zuerst!“, freut sie sich mit Blick auf ihr Smartphone. 

Ab 20. Juni bei Amazon Prime zu sehen: „Federer – Twelve Final Days“
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Alle in seiner Nähe blicken ehrfürchtig auf Federers Karriere

Roger Federer hat seinen inner circle versammelt, die Gattin, seine Eltern, Severin Lüthi, seinen langjährigen Trainer, Tony Godsick, seinen langjährigen Agenten und dessen Frau, die frühere Tennisspielerin Mary Joe Fernandez. Alle in seiner Nähe blicken so ehrfürchtig auf Federers Karriere, die in diesem Moment ihr Ende findet, dass man eine Idee bekommt, warum er der Größte geworden ist. Wegen seines unfassbaren Talents, aber auch wegen der Menschen, die ihn konstant begleitet haben. Und immer zu schätzen wussten, was sie an ihm hatten, weil er zu schätzen wusste, was er an ihnen hatte. „Minka, meine Frau. Sie hätte mich vor Jahren stoppen können, aber sie hielt mich am Laufen und erlaubte mir, zu spielen. Das ist fantastisch“, sprach er nach seinem letzten Spiel, schluchzend, denn Federer ist „ein emotionaler Typ“, wie er sagt. Und auch deshalb mochte man ihn ja immer.

Jubel nach seinem Wimbledon-Sieg 2017: Federers Frau Mirka (r.) mit den gemeinsamen Zwillingen Myla and Charlene, damals sieben, und Leo und Lenny, damals drei. In der Mitte seine Mutter Lynette.
© Tim Clayton

Federer war keiner, der den Schiedsrichter anbrüllte, wenn es für ihn nicht lief. Federer war einer, der weinte, wenn er verlor. Wie 2009 im Finale der Australian Open, in dem er Rafael Nadal unterlag. „Oh God, it’s killing me“, brach es aus ihm heraus, als er bei der Siegerehrung ein paar Worte sagen sollte. Nadal nahm ihn in den Arm, da war längst eine Verbindung zwischen den beiden entstanden, die für so große Rivalen ungewöhnlich ist. Beide konnten Rekorde brechen und brachen sie – nur in jenem Finale nicht, wo Federer mit Pete Sampras‘ 14 Grand-Slam-Titeln gleichziehen wollte (was ihm natürlich später noch gelang). 

Federer sieht im Smoking aus wie der nächste James Bond

Das Duell der beiden elektrisierte die Tennis-Welt. Der smarte, weltgewandte Schweizer gegen den Spanier, der in drolligem Englisch von seinem „Dorf“ auf Mallorca erzählte. Sie wirkten so verschieden, doch es gab etwas, das sie einte – ihre Bodenständigkeit. Beide blieben bei aller Einzigartigkeit, die ihnen permanent suggeriert wurde, verhältnismäßig normal. Nadal reiste mit seinem Onkel Toni, Federer hatte häufig seine Eltern dabei. Beide sind seit Ewigkeiten mit ihren Partnerinnen zusammen, Federer mit Mirka, mit der er zweimal Zwillinge bekam, erst Mädchen, dann Jungs, beide eineiig; offenbar ist Federer auch beim Kinderzeugen außergewöhnlich. Klar, dass er im Smoking aussieht wie der nächste James Bond, während Nadal eher erscheint, als habe er sich verkleidet. Hübsch zu sehen beim Laver Cup, wo Federer am Abend vor Turnierbeginn ein Selfie von sich, Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray macht; alle vier auf dem Weg zu einer Gala, begleitet von der Kamera, die Federers Doku filmt.

Natürlich gibt es darin Rückblicke auf Federers Tennis-Leben, etwa, wie er nach seinem ersten Wimbledon-Sieg 2001 gegen Pete Sampras auf dem Centre Court lag. Aber der Film ist vor allem in der Gegenwart stark, wenn Federer erzählt, wie das war, als es für ihn losging mit den Knie-Operationen („Ich dachte immer, Operationen sind der Anfang vom Ende, und ich hatte recht“). Wie hart es für Mirka und seine Eltern gewesen sei, zu sehen, „dass ich nicht mehr der Beste sein werde“. Und wie drei seiner „Kiddies“ weinten, als er ihnen von seinem „Ruhestand“ erzählte.

Einmal noch wickelt er das Griffband um seinen Schläger: Roger Federer vor seinem letzten Spiel beim Laver Cup.
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Es ist unglaublich rührend, wie die Herren beim Laver Cup Roger Federer noch einmal hochleben lassen. Wie respektvoll, ja bewundernd alle über ihn sprechen. Er habe „nie jemanden schöner Tennis spielen sehen“, sagt John McEnroe, der als Team-Kapitän dabei ist. Federer sei „ein Künstler auf dem Platz“, sagt Björn Borg. Er habe Tränen in den Augen gehabt, als Federer ihm gesagt habe, er höre auf, sagt Rafael Nadal. „Der wichtigste Spieler meiner Karriere geht.“ Er glaube, sagt dann Roger Federer, dass es „heute unter den Jüngeren viel mehr Respekt füreinander gibt, durch mich und Rafa“. 

Die beiden haben etwas vorgelebt, das sie über ihre Zeit hinausträgt. Man sah das jetzt wieder bei den French Open in Paris: Die alten Litfasssäulen der Stadt waren ja nicht mit Bildern von Jannik Sinner und Carlos Alcaraz bestückt, sondern mit denen von Federer und Nadal, die neuerdings gemeinsam Rucksäcke von Louis Vuitton bewerben, fotografiert von Annie Liebovitz. Im Film ist man ganz nah dran, als Federer sich beim Laver Cup noch einmal die Bandana umbindet und auf den Platz geht. Seine Mutter streicht ihm über die Wange, seine Töchter haben feuchte Augen, aber niemand guckt so traurig wie Rafael Nadal. Wie er nach dem Spiel mit Federer auf der Bank sitzt, beide schluchzend und die Hand des einen auf der Hand des anderen – das hätte sich kein Regisseur ausdenken können. Episch!