Dass nach Annalena Baerbocks Kanzlerkandidatur für die Grünen jetzt Robert Habeck dran ist, galt als ausgemacht. Aber stimmt das überhaupt? Die Außenministerin steht plötzlich auf der Bremse.

Ach guck, da hat sich in den letzten Wochen also ein bisschen was angestaut. Ein gewisses Unbehagen könnte man es nennen, ein Unbehagen darüber, mit welcher Nonchalance sich der grüne Vizekanzler in die Poleposition schiebt. Formschöne Videos, staatstragende Auftritte, gezielt gesetzte Artikel – immer selbstbewusster machte Robert Habeck seinen Anspruch auf die nächste grüne Kanzlerkandidatur geltend. Diesen verschärften Eindruck hatte nicht allein das Publikum, auch im Lager der grünen Außenministerin war dies aufgefallen.

Wer nun sagt, war doch klar, so hatten es die beiden doch beim letzten Mal, beim ersten grünen Anlauf auf das Kanzleramt untereinander ausgemacht – jetzt du, Annalena, aber beim nächsten Mal ich, Robert – , der könnte sich auch irren. Robert Habeck inklusive. Die Außenministerin selbst hat diesem vermeintlichen Automatismus jetzt zumindest einen großen, breiten Riegel vorgeschoben. Anders gesagt: Mit ihrem im Interview in der Süddeutschen meldet sich Annalena Baerbock zurück im Spiel.  

Der bemerkenswerte Satz der Annalena Baerbock

Auf die Frage, ob sie es denn selbst noch mal versuchen wolle, sagt Annalena Baerbock einen Satz, der aufhorchen lässt: „Als Außenministerin habe ich gelernt, dass alles möglich ist.“

Das ist einerseits faktisch korrekt, es geschehen in dieser Welt andauernd irrste Dinge, mit denen niemand gerechnet hat: ein europäischer Landkrieg, französische Neuwahlen, ein Kanzler, der Klartext spricht. Andererseits ist dieser Satz ist eine Kampfansage: Er lässt hinreichend offen, was sie selbst denn nun will, macht aber auch deutlich, dass sie ihm die Kandidatur nicht einfach so herschenken mag. Wenn also alles möglich ist, warum denn nicht auch, dass sie ein zweites Mal als grüne Kanzlerkandidatin antritt? 

Baerbock 08.54

Sieht ganz danach aus, als stünden die Grünen neben ihren bereits vorhandenen Problemen – Warum nur haben uns die Menschen nicht mehr so gern wie einst? Wer übernimmt eigentlich die Verantwortung für das 11,9-Prozent-Desaster? Und welche Lehren ziehen wir für anstehende Wahlen daraus? – vor einem weiteren Problem: einer bislang ungelösten K-Frage. 

„Mein Job und auch der des Vizekanzlers und Wirtschaftsministers ist es aber, die akuten Probleme zu lösen, nicht dauernd Personaldebatten zuführen.“ Ach, nein? Kleiner Rempler gegen ihren einstigen Co-Vorsitzenden an der Grünenspitze inklusive: Sie habe im letzten Bundestagswahlkampf gelernt, „was es für einen Unterschied macht, wenn man aus einem starken Team heraus agiert und die Fraktions- und Parteispitze geschlossen hinter einem steht.“

Das haben sie Habeck im Baerbock-Lager nicht vergessen

Auch diese Passage lohnt eine kurze Analyse: Die Baerbock-Unterstützer, vor allem ihre Unterstützerinnen in Partei und Fraktion, haben bis heute nicht vergessen, wie sehr Habeck damals seine Niederlage im K-Rennen inszenierte. „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen“, hatte der nur Stunden nach der Bekanntgabe in einem Zeit-Interview geklagt. Es klang ein bisschen wehleidig. Geschenkt. Es klang aber auch ein bisschen zu selbstgewiss, so als wäre aus einem Kandidaten Habeck mit großer Sicherheit auch ein Kanzler Habeck geworden. Das haben sie im Baerbock-Lager nicht vergessen. 

Vergessen ist auch nicht, wie sehr schon im letzten Bundestagswahlkampf das Narrativ verbreitet worden ist, sie habe den Job nur deshalb bekommen, weil sie eine Frau sei. Weil das bei den Grünen eben so laufe, weil alle anderen Parteien nur Männer ins Rennen geschickt hatten. Habeck selbst hatte diese Lesart schon früh als Erklärung angeboten: Wenn sie sagt, sie will es – dann wird sie es.

Dafür erinnert Baerbock nun an die Nationale Sicherheitsstrategie, erstellt „unter Federführung des Auswärtigen Amtes“, und sorgt dafür, dass das Heizungsgesetz nicht ganz in Vergessenheit gerät. „Beim Heizungsgesetz haben wir die Frage der sozialen Absicherung zu Beginn nicht ausreichend thematisiert“, sagt Baerbock. Das ist natürlich nicht neu, sondern längst Konsens, Habeck selbst hat sich ein gefühltes halbes Dutzend Mal dafür in den Staub geworfen, zuletzt auf einem Podium als Fehler bezeichnet, als Test, wie weit man gehen könne.

Nationale Sicherheitsstrategie vs Heizungsgesetz – so einfach ist es natürlich nicht, aber manchmal doch genauso ungerecht. 

Ihre Unterstützer meinen, sie habe jetzt drei Jahre lang gezeigt, dass sie ein schwieriges Problem souverän angeht, dass sie sogar in multiplen Krisen liefert, Ukraine, Gaza – daran waren im Wahlkampf massive Zweifel gestreut worden. Jetzt hätten alle gesehen, dass sie es kann.

Hat er wirklich alles so prima gemacht als Vizekanzler?

Und Robert?, heißt es dann. Mit Verlaub, hat er wirklich alles so prima gemacht als Vizekanzler? Erreicht er wirklich mehr Menschen als sie? Hat mehr die größere Unterstützung in Partei und Fraktion? Meint: So viel Unterstützung wie sie.

Stellt man in ihrem Umfeld die Frage, was sie denn selbst wolle, heißt es, sie hätte bisher wirklich keine Zeit gehabt, darüber ernsthaft nachzudenken. Aber sie prüfe sich sehr genau. Beim letzten Mal sei es einfacher gewesen, sie kam aus der Opposition, sie hatte die Zeit. Jetzt stehe die Frage im Raum: Schaffe ich das – neben diesem Job als Außenministerin in den Wahlkampf zu ziehen. Die Welt da draußen bleibt ja nicht stehen. Da ist immer irgendwo Krise, wo man einfach mal schnell hinmuss.

Ausgang offen.

Da stehen sie nun die Grünen. Offiziell lautet der Auftrag an die beiden, sich untereinander zu einigen. Falls ihnen das nicht gelingt, ist immerhin das Prozedere geklärt: Die Grünen haben aus dem Hickhack vor der letzten Kandidaten-Kür gelernt. „Wenn es mehr als eine Bewerberin oder einen Bewerber für die Kanzlerkandidatur gibt, werden wir eine Urwahl machen“, so hatte es Parteichef Ricarda Lang verkündet. Damals im Januar klang das noch nach reiner Theorie. Mitte Juni reicht ein Interview, um den Praxistest wahrscheinlicher werden zu lassen. 

Wer nun fragt, lohnt denn das überhaupt, bei den mageren 11,9 Prozent, die zuletzt bei den Europawahlen für die Grünen abfielen, dem hält Baerbock entgegen: „Die Zeiten sind stürmisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich in ein paar Monaten alles verändert.“