Einen Tag nach dem Rechtsruck bei den Europawahlen haben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gemeinsam in Oradour-sur-Glane des SS-Massakers mit 643 Toten vor 80 Jahren gedacht. Beide Präsidenten verharrten zunächst vor einer Wand mit Fotos der Opfer. Zur gleichen Zeit verlasen Kinder minutenlang die Namen der Getöteten. 

Steinmeier und Macron wollten später kurze Ansprachen halten. Macrons Rede wurde mit besonderer Spannung erwartet, da er angesichts des schlechten Wahlergebnisses für seine Partei bei der Europawahl am Sonntagabend überraschend die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen aufgerufen hatte. 

Die SS-Panzerdivision „Das Reich“ hatte am 10. Juni 1944 in dem westfranzösischen Ort die meisten Dorfbewohner getötet und fast den gesamten Ort niedergebrannt. Etwa 350 Frauen und Kinder trieben die SS-Schergen in der Dorfkirche zusammen und töteten sie dort mit Atemgift, Handgranaten und Maschinengewehren. Die Ruinen des Dorfs sind bis heute als Mahnmal erhalten, aber zunehmend vom Verfall bedroht. 

Es ist das erste Mal, dass ein Bundespräsident zu einem Jahrestag des Massakers anreist. Im Jahr 2013 hatte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck im Rahmen eines Staatsbesuchs als erster deutscher Spitzenpolitiker Oradour-sur-Glane besucht. 

Macron hatte am Vormittag noch vor der Ankunft Steinmeiers auch der Opfer des Massakers im nahegelegenen Tulle gedacht. Dort hatten SS-Soldaten am 9. Juni 1944 99 Zivilisten öffentlich an Laternenpfählen und Balkonen aufgehängt. 

Oradour will am Montag zudem einen Freundschaftspakt mit dem fränkischen Hersbruck schließen, einem Ort, in dem es eine Außenstelle des Vernichtungslagers Flossenbürg gab. Die Beziehungen zwischen Oradour und Deutschland waren lange angespannt, da keiner der Täter je zur Rechenschaft gezogen wurde. Der letzte der wenigen Überlebenden, Robert Hébras, war im Februar 2023 im Alter von 97 Jahren gestorben.