Europa hat die Wahl – wie es in Zukunft weitergeht. Das Kreuz auf dem Wahlzettel kann dabei auch ein Kreuz für mehr Fokus auf Frauenrechte sein. Warum das sinnvoll ist, verraten vier Frauen, die sich tagtäglich damit auseinandersetzen, wohin sich die Welt für Frauen entwickelt. 

Model Sara Nuru: „Auch in Europa ist nicht alles Gold, was glänzt“

Sara Nuru ist Unternehmerin, Model, Autorin und Mutter. Lange Zeit hat sie sich mit ihrem Verein „NuruWomen“ für die Selbstbestimmtheit der Frauen in Äthiopien eingesetzt, ihr Engagement für die Frauengesundheit möchte sie nun noch weiter ausbauen.
© Robert Rieger

„Wir haben noch einen langen Weg zur Geschlechtergleichstellung vor uns. Auch in Europa ist nicht alles Gold, was glänzt“, sagt Model und Unternehmerin Sara Nuru im Gespräch mit dem stern. Damit meint sie nicht nur die Situation von Frauen innerhalb der EU, die sich von Land zu Land enorm unterscheiden kann, sondern vor allem die Lage von Frauen weltweit. Sie ist sich sicher: Es lohnt sich, ab und zu mal über den eigenen Tellerrand – und über die Grenzen der EU – hinaus zu schauen. „Der Austausch mit Frauen aus anderen Ländern und Kontinenten kann uns nur bereichern, denn auch Frauen in Äthiopien, auf den Philippinen oder in Peru haben gute Ideen.“ 

Ein großes Problem sei etwa die Gesundheitsversorgung – hier sei die Politik angehalten, den Zugang zu einer fairen Gesundheitsversorgung weltweit – auch in Europa – unabhängig von finanziellen Mitteln und Heimatland zu gewährleisten. In anderen Bereichen seien aber auch wir Frauen selbst gefragt, uns aktiv für bessere Rahmenbedingungen einzusetzen. Wie wir das machen, sei zweitrangig: „Hauptsache, wir sind uns der Herausforderungen für Frauen bewusst und werden aktiv.“ Wir könnten etwa Initiativen gründen, einander zuhören, als Frauen selbst zum Vorbild werden, indem wir MINT-Berufe ergreifen, Führungsrollen einnehmen – oder wählen gehen. 

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Hebamme Kerstin Lüking: „Europa hat enorm viele Hausaufgaben vor der Brust“

Kerstin Lüking ist Hebamme, Journalistin und Podcasterin. Sie setzt sich seit Jahren aktiv für das Thema Frauengesundheit, insbesondere für Mütter nach Geburten ein. Darin liegt auch der Schwerpunkt ihres neuen Buches „Königin im Wochenbett“.
© Antonia Jenner

„Für mich, die in einem medizinischen Beruf arbeitet, hat das Thema Frauengesundheit einen sehr hohen Stellenwert“, sagt Hebamme Kerstin Lüking dem stern. Vor allem für die rund 8,4 Millionen Mütter interessiere sich in unserer Gesellschaft kaum jemand. Aus diesem Grund engagiert sich Lüking insbesondere für die Nachsorge von Müttern im Wochenbett – und die Aufklärung über diese besondere Phase des Lebens. Aber auch sonst hätten Frauen in unserer Gesellschaft noch immer mit einer Mehrbelastung zu kämpfen. Die Folge seien häufig Burnout und psychische Probleme. Lüking sagt dazu: „Das ist nicht verwunderlich, da Frauen sehr viele Bälle in der Luft halten müssen, um das System, in dem wir leben, am Laufen zu halten.“

Aber das sei nicht die einzige Baustelle in Europa für Frauen: Die Gleichstellung in politischen, wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und kulturellen Bereichen sei ausbaufähig. Es gehe beispielsweise um das Recht auf gleiche Bezahlung, Bildungs- und Karrierechancen und natürlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie das Recht auf den Schutz vor Gewalt. „Europa hat noch enorm viele Hausaufgaben vor der Brust“, so Lükings Resüme. Deshalb sei es wichtig, „dass wir wählen gehen und Parteien keine Plattform geben, die unser Geschlecht gerne wieder im Dirndl hinter dem Herd stehen hätten.“

Nationalspielerin Inonge Kalousan: „Repräsentation alleine reicht nicht aus“

Inonge Kaloustian ist Goodwill Ambassador der Social Impact-Kampagne „#LetsTalkPERIOD“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Die sambische Fußball-Nationalspielerin und Public Health Expertin wurde in den USA geboren und lebt dort.
© BMZ

Inonge Kalousan nimmt die Außenperspektive auf die EU-Wahl ein und weiß, welchen Stellenwert die Europäische Union auch international für Frauenrechte hat. „Es erfüllt mich mit Stolz, dass immer mehr Frauen auf der ganzen Welt in der Lage sind, sich an der Politik zu beteiligen und Teil dieser äußerst wichtigen Diskussionen zu sein“, sagt Kalousan im Gespräch mit dem stern. Das wahre Engagement für die Frauenrechte gehe für Politiker und Privatleute dann los, wenn die Wahllokale längst geschlossen seien.

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass allein der Mut, ein ‚unbequemes‘ Gespräch zu beginnen, den Diskurs über bestimmte Themen drastisch verbessern kann“, sagt die Fußballerin. Die Chancen stünden gut, dass andere ähnliche Gedanken haben wie man selbst und vielleicht sogar schon darüber nachgedacht haben, wie man das Gespräch beginnen könnte. Aus ihrem Engagement für die Enttabuisierung der Periode habe sie zudem gelernt: „Generell kann jede von uns ihren Teil dazu beitragen, andere Frauen in ihrem Alltag zu ermutigen.“

FAQ zur Europawahl 11.07

Journalistin Katie Gallus: „Wir müssen uns mit an den Entscheidungstisch setzen“

Katie Gallus ist Moderatorin, Auslands-Korrespondentin, Autorin und Geographin. Sie setzt sich schon immer für die Schwächeren ein, recherchierte unter anderem in Kirgistan, Zentralkamerun und im Irak und ist Botschafterin der Bildungsinitiative „German Dream“.
© Simon Pauly

„Wir müssen uns mit an den Entscheidungstisch setzen“, appelliert Journalistin Katie Gallus gegenüber dem stern. Eine Partizipation ohne Entscheidungsgewalt bringe nichts als ein schönes Werbefoto auf Linkedin, dass „Frauen auch mit dabei waren“. Und dann gelte es, sich gegenseitig zu unterstützen – und zwar über den Tellerrand der eigenen Peergroup hinaus: „Ich beobachte immer wieder, dass immer die gleichen Frauen aus den gleichen sozialen Blasen über Frauenthemen diskutieren. Hauptsache, der Prominenzfaktor stimmt.“ Das sei nicht nur für’s Netzwerken langweilig, sondern auch für den Austausch. 

Auch von der Politik brauche es mehr Engagement für Frauen. „Frauenthemen fallen leider immer wieder Budgetkürzungen zum Opfer“, sagt Gallus. Das führe vor allem im Gesundheitsbereich zu einer großen Kluft zwischen den Geschlechtern. Laut Gallus machen Frauen in Deutschland bei vielen Gesundheitsthemen ähnliche Erfahrungen wie Frauen an den „Rändern der Welt“. Ein Beispiel: Genitalverstümmelung. Die finde auch in Deutschland noch statt, wenn auch im Verborgenen. „Schulmädchen werden im Sommerurlaub in ihren Heimatländern mitunter Opfer von Genitalverstümmelung. Das ist Lebensrealität – nicht nur in beispielsweise Sierra Leone oder Somalia, sondern auch in Berlin-Neukölln.“ Sie plädiert deshalb an die Frauen hierzulande, sich zu vernetzen, aktiv um Hilfe zu fragen, „einfach mal nicht Zicke gegeneinander sein und sich wirklich miteinander füreinander einsetzen.“