Je nach Schulart treten bis zu 40 Prozent der Bewerber ihre Stelle als Referendare gar nicht erst an. Die SPD fordert mehr Beratungsangebote im letzten Ausbildungsabschnitt für angehende Lehrkräfte.
Je nach Schulart treten in Baden-Württemberg viele angehende Lehrerinnen und Lehrer nach der Bewerbung auf eine Referendariats-Stelle den Vorbereitungsdienst gar nicht erst an. Das geht aus einer Antwort des Kultusministeriums auf eine Anfrage der SPD-Fraktion hervor. Den Zahlen zufolge trat im vergangenen Jahr über alle Schularten hinweg knapp jeder fünfte Bewerber sein Referendariat nicht an.
Besonders hoch ist die Quote an den beruflichen Schulen im Land. Dort traten 2023 gut 40 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber ihr Referendariat nicht an. Auch in den vier Jahren zuvor sah die Situation an den beruflichen Schulen nicht besser aus, 2020 traten sogar nur 55 Prozent der Bewerber ihre Stelle an.
Etwas besser ist die Quote an den Gymnasien. Dort begannen im vergangenen Jahr gut drei Viertel der angehenden Lehrkräfte ihr Referendariat, nachdem sie sich auf eine entsprechende Stelle beworben hatten. Noch geringer war die Quote der Bewerberinnen und Bewerber, die am Ende ihr Referendariat nicht beginnen, an den Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen (13 Prozent) und an den Grundschulen (10 Prozent).
Verband: Industrie lockt Berufsschullehrer mit guten Arbeitsbedingungen
Wie viele Bewerber sich im nächsten Jahr erneut für den Vorbereitungsdienst bewerben, ist nicht bekannt. Wegen des Datenschutzes würden alle Daten nach Ende des Zulassungsverfahrens gelöscht, schreibt das Kultusministerium in seiner Antwort auf die Anfrage. „Daher kann bei einer Bewerbung kein Rückschluss gezogen werden, ob es sich hierbei um eine erneute Bewerbung aufgrund eines Rückzugs in den Vorjahren handelt.“
Die hohe Nichtantrittsquote an Berufsschulen erklärt sich der Berufsschullehrerverband (BLV) mit den großen Wahlmöglichkeiten für angehende Berufsschullehrer. Diese seien mit ihren Fächern auch in der Industrie gefragt. „Die Studierenden sind verpflichtet, im Studium ein einjähriges Praktikum in der Industrie zu machen. Da kann es gut sein, dass das Unternehmen am Ende fragt: Wollen Sie nicht nach Ihrem Studium bei uns anfangen?“, sagte Thomas Speck, Landesvorsitzender des BLV.
Die Unternehmen lockten mit Projektarbeit, Teamarbeit, Homeoffice und modern eingerichteten Arbeitsplätzen. Schulen hätten dabei noch Nachholbedarf, sagte Speck. „Ich kann zum Beispiel nur sehr begrenzt Homeoffice machen, weil ich von zu Hause keinen Zugriff auf die Daten an der Schule habe“, so der Verbandsvorsitzende.
SPD: „Der Schwund ist einfach zu hoch“
Die Zahlen hält der BLV-Chef für „absolut erschreckend“: „Wir machen uns da Riesensorgen. Wir kommen bald in eine Pensionierungswelle rein und haben zusätzlich steigende Schülerzahlen“, sagte Speck. Zudem sei die Situation bei den beruflichen Schulen noch schlimmer, als die Anfrage zeige. „Die Realität sieht noch mal schlechter aus, weil es noch einen Prozentsatz gibt, der die Bewerbung zum Referendariat gar nicht erst einreicht“, sagte Speck. Immer mehr Studierende hörten etwa bereits nach dem Bachelor auf, um in der Industrie zu arbeiten.
„Offenbar verlieren wir zu viele Personen zwischen der Zeit der Bewerbung auf den Vorbereitungsdienst im Lehramt und dem tatsächlichen Antritt. Fluktuation wird es immer geben, aber der Schwund ist angesichts des massiven Lehrkräftemangels in Baden-Württemberg einfach zu hoch“, kritisierte die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Katrin Steinhülb-Joos, die die Zahlen beim Kultusministerium abgefragt hatte.
Es müsse genau evaluiert werden, warum sich Lehramtsstudierende gegen den Antritt des Referendariats entscheiden. „Mehr Coaching- und Beratungsangebote, die Studierende nutzen können, wenn sie Zweifel haben, ob die Arbeit als Lehrkraft das Richtige für sie ist und ein flächendeckendes Netzwerk an Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern aus erfahrenen Lehrkräften, kann die Verzahnung zwischen Studium und Praxis weiter stärken“, sagte Steinhülb-Joos. Zudem müsse geprüft werden, ob das Referendariat umgestaltet werden müsse, um es attraktiver zu machen.
Auch das Kultusministerium sieht die niedrigen Antrittsquoten an den Berufsschulen in den Besonderheiten des beruflichen Lehramts begründet. „Hier gibt es in vielen Fächern keine spezifischen Lehramtsstudiengänge“, teilte ein Sprecher mit. Für Absolventinnen und Absolventen etwa mit einem Master in Informatik oder Ingenieurswissenschaften sei die Schule nur eine unter vielen Arbeitsmöglichkeiten. „Und wie das auf einem freien Markt sehr üblich ist, bewerben sie sich bei mehreren Arbeitgebern und wählen dann die Stelle, die für sie am besten passt“, so der Sprecher.
Ein Problem seien auch Absolventinnen und Absolventen, die im März ihr Studium beendeten und dann erst im darauffolgenden Januar oder Februar mit dem Referendariat starten könnten. „In dieser Zeit finden sie möglicherweise eine alternative Berufsmöglichkeit“, so der Sprecher. Diesen Bewerbern biete man an, bereits im Januar oder Februar als sogenannte Gasthörer mit dem Referendariat zu starten und dann im März den Studienabschluss nachzureichen. Das sei auch erfolgreich, so das Kultusministerium.
Antwort des Kultusministeriums auf die Anfrage der SPD-Fraktion