Alle sprechen über die Memoiren der Altkanzlerin. Fast niemand spricht darüber, dass sie damit zu einer extrem reichen Frau werden wird. Politikern seien Geld und Absicherung gegönnt. Aber wie viel ist zu viel?

Ich gebe zu, ich habe den Memoiren von Angela Merkel entgegengefiebert. Den Vorabdruck in der ZEIT habe ich verschlungen, ihr Interview mit dem SPIEGEL aufmerksam studiert. Manche ihrer Antworten – zum Beispiel als sie Olaf Scholz daran erinnerte, dass das Amt des Bundeskanzlers gewisse moralische Verpflichtungen mit sich bringt, etwa nicht einfach aus Frust ehemalige Koalitionspartner öffentlich zur Unperson zu erklären – ließen mich ihren Stil durchaus vermissen.

Ich ertappte mich aber nach der Lektüre dabei, eine andere Frage in der Diskussion zu vermissen: Warum spricht niemand darüber, dass Angela Merkel durch diese Publikation zu einer ungewöhnlich reichen Frau werden wird? Schätzungen zufolge dürfte sie einen zweistelligen Millionenbetrag an dem Buch verdienen, das 736 Seiten umfassen, 42 Euro kosten wird und in über 30 Ländern erscheinen soll. Merkel, die im Amt ihre Bodenständigkeit, ihr Leben in einer recht bescheidenen Mietwohnung, ihre Vorliebe für Kohlrouladen, durchaus betont hat, gehört bald zu Deutschlands Supergroßverdienern.

Stört das niemanden? Ich schreibe das nicht, weil der stern bei Vorabdruck und Interview den Kürzeren gezogen hat. Natürlich hätten wir beides gerne gehabt. Ich schreibe es auch nicht, weil ich finde, dass Politiker überbezahlt sind, im Gegenteil. Aus meiner Sicht haben unsere Top-Volksvertreter unfassbar stressige Jobs und sollten deutlich mehr verdienen als Sparkassendirektoren. Auch ihre Altersversorgung neide ich ihnen nicht, die ist zwar üppig, macht aus Gründen der Absicherung ihrer Unabhängigkeit aber durchaus Sinn. Die Diskussion, wie viele Mitarbeiter eine Ex-Kanzlerin in ihrem Büro auf Staatskosten beschäftigen darf, halte ich für kleinlich. Und natürlich, auch andere Ex-Politiker verdienen viel Geld. Der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel berät Konzerne wie die Deutsche Bank oder Länder wie Katar, ganz sicher nicht ehrenamtlich. Von Gerhard Schröders Anschlussverwendung wollen wir lieber ganz schweigen. 

Ich weiß zudem, dass die Buchautorin Merkel ihr Geld wert sein wird. Ihr Werk dürfte überall auf den Bestellerlisten landen. Volle Transparenz: Der Medienkonzern Bertelsmann, zu dem der stern gehört, hat Ex-Präsident Barack Obama jede Menge Geld für seine Memoiren gezahlt, dessen Frau ebenfalls, noch viel mehr als Merkel. Das rechnet sich.

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Für viele Menschen mit Geldsorgen ist das nicht normal

Aber ich stehe noch unter dem Eindruck der letzten US-Wahl. Diese bescherte uns nicht nur die Krönung von Donald Trump, sondern offenbarte zugleich die wachsende Entfremdung der Arbeiterklasse von den US-Demokraten. Dies gilt auch für die Obamas. Der ehemalige Sozialarbeiter und Gattin Michelle feiern längst mit Hollywoodstars und Milliardären, sie unterhalten Häuser in luxuriösen Ferienparadiesen, sie verdienen Hunderttausende Dollar für eine einzige Rede. Sie wirken auf viele: elitär, ein Teil der Elite. Als Wahlkampf-Waffen bei Arbeiterinnen und Arbeiten taugten sie offensichtlich nicht mehr recht. 

So sei das System halt, höre ich dazu manchmal. Außerdem sei das Top-Politikern nach der ganzen Plackerei doch gegönnt. Wenn sie ihre ganze Karriere mit meist viel reicheren Menschen zu tun hätten, wollten sie schließlich auch mal selber kräftig verdienen. Ich kann all diese Argumente nachvollziehen. Aber ich bilanziere halt, was sich in der US-Wahl am meisten spiegelte, bei uns nun auch droht: Für ganz viele Menschen ist all das überhaupt nicht normal. Sie machen sich Sorgen, ob sie die Miete zahlen können, ob das Geld im Alter reicht. Und wenn sie sich Sorgen machen, wendet sich ihre Wut oft gegen die „da oben“. Für viele von ihnen war es vielleicht ermutigend, dass Obama arme Leute nicht nur aus dem Fernsehen kannte. Für sie wirkte es eventuell inspirierend, dass Merkel so bescheiden erschien. Und nun sind beide Multi-Millionäre – übrigens zu einer Zeit, da ihr jeweiliges politisches Vermächtnis sehr kritisch diskutiert wird. In Amerika hat ausgerechnet Donald Trump, der in einem goldenen Penthouse lebt und selber Milliardär ist, diese Anti-Establishment-Stimmung geschickt für sich genutzt, als eine Art vermeintlicher Rächer der Entrechteten – und auch mit dem Argument, er habe sein Vermögen wenigstens ganz ohne vorheriges politisches Amt gemacht. Der Umstand,  dass Trump viel Geld ererbt und anderes vermutlich ergaunert hat, schien wütenden Wählern dagegen zweitrangig. Und in Deutschland?

Anfang Dezember werden Obama und Merkel gemeinsam in Washington DC. auftreten, um Merkels Buch vorzustellen. Das dürfte ein schöner, ein heiterer Abend werden, mit vielen klugen Gedanken. Aber es wird auch ein Abend sein, über den manche, in Amerika wie in Deutschland, den Kopf schütteln und sagen werden: „Die haben ihre Schäfchen ja im Trockenen.“

Natürlich, wir müssen niemandem nachlaufen, der einfach bornierte Vorurteile hegt. Aber komplett auszublenden, wie wütend manche Menschen gerade sind, wird uns auch nicht weiterbringen, siehe US-Wahl. Ich will niemandem etwas vorschreiben, schon gar nicht einer so klugen Frau wie Angela Merkel. Und ich weiß selbstverständlich nicht, wie ich selber mit einem Millionen-Buchvertrag umgehen würde. Aber ich ertappe mich bei einem Gedanken, den ich auch habe, wenn ich über die Krise bei Volkswagen lese und weiß, dass VW-Großaktionäre noch vor kurzem 4,5 Milliarden Euro Dividende kassiert habe: Würde es nicht helfen, mal auf eine Million zu verzichten, sie zu spenden, einer Stiftung zu geben? Würde sich das nicht auszahlen, für uns alle?