Vom SPD-Nachwuchs kriegt Saskia Esken harsche Kritik an der Parteispitze zu hören. Das Chaos um die K-Frage hat viele frustriert. Das könnte zum Problem im Wahlkampf werden.

Als Saskia Esken beim Bundeskongress der Jungsozialisten in Halle (Saale) ans Rednerpult tritt, weilen viele Jusos noch beim Mittagessen. Die SPD-Chefin hat beim Parteinachwuchs gerade einen schweren Stand. Nach dem Chaos der vergangenen Tage, der quälenden Diskussion um die Kanzlerkandidatur, die nun Olaf Scholz übernehmen soll. 

„Nein, wir haben kein wirklich gutes Bild abgegeben bei der Nominierung unseres Kanzlerkandidaten“, räumt Esken ein – stellvertretend für die gesamte Parteiführung. Zum ersten Mal brandet während ihrer Rede langer und lautstarker Applaus bei den Jusos auf. Dabei hat Esken zu diesem Zeitpunkt schon knapp 20 Minuten gesprochen. 

„Ich bin sicher, ihr wollt den Rest auch noch hören“, sagt sie mit säuerlichem Lächeln. Die jungen Genossen klatschen und klatschen.

 Scholz und die paralysierte SPD 18.23

Der Frust über die vermaledeite Kandidatenkür sitzt auch beim Nachwuchs der SPD tief. Erst am Freitag hatte Juso-Chef Philipp Türmer eine „Shitshow“ beklagt. Gemeint: Die quälend lange Diskussion der vergangenen Wochen, der teils öffentliche Streit darüber, wer SPD-Kanzlerkandidat werden soll.

Große Fans von Olaf waren sie hier nie. Doch nun ist im traditionell aufmüpfigen Jugendverband auch Entrüstung zu spüren über das Agieren der Parteiführung. Die hier am Samstag zwar offiziell nur ein Grußwort hält, aber eigentlich zum Rapport antritt. Viele Jusos sind der Ansicht, dass die Kommunikation um die K-Frage eine mittelschwere Katastrophe war. Und sie fühlen sich beim Kandidatenprozess übergangen – so groß auch die Erleichterung ist, dass nun Klarheit herrscht. Erstmal.

Esken sitzt in der ersten Reihe und hört tapfer zu

„Wir gehen aus dieser Debatte nicht beschädigt, sondern auch gestärkt hervor“, meint SPD-Chefin Esken am Rande des Bundeskongresses. Man habe „große Einigkeit“ erzielt, die Partei sei geschlossen und versammle sich nun hinter dem Spitzenpersonal. Daran kann man nach dem diesjährigen Bundeskongress, sozusagen dem Juso-Parteitag, erhebliche Zweifel haben. Im Saal ist die Stimmung eine deutlich andere, die SPD-Spitze muss mächtig einstecken. 

Insbesondere von Beatrice Wiesner, der Juso-Vorsitzende in Vorderpfalz. Sie bezeichnet die Klärung der K-Frage als „Lehrstück“, wie man als Parteispitze Verantwortung von sich schiebe. Wiesner fühlt sich nicht ernst, geschweige denn mitgenommen. „Die ganze Partei hat an eurer Tür geklingelt“, beklagt sie am Rednerpult. Esken sitzt in der ersten Reihe und hört tapfer zu. „Und was habt ihr gemacht? Ihr habt es ignoriert. Ohren zu, Augen zu, Tür zu. Hinter dieser Tür habe ein Mann gestanden und allein entschieden.“ 

Gemeint ist Kanzler Scholz, der „stur“ an seiner Kandidatur festgehalten habe. Während ihm die SPD-Spitze, so der Subtext, hat gewähren lassen. „Wenn wir genauso planlos und kopflos in diesen Wahlkampf stolpern, wie in diese Entscheidung, dann ist nur eines sicher: ein schlechtes Wahlergebnis“, sagt Wiesner. Die Jusos würden wieder an die Tür der SPD-Spitze klingeln. „Und ich hoffe wirklich, ihr werdet dieses Mal aufmachen. Weil wenn nicht, dann treten wir die Tür halt ein.“ Riesenapplaus, teils Johlen geht durch die Reihen.

Philipp Türmer, Juso-Vorsitzender

Die SPD-Co-Chefin ist der Blitzableiter im Saal

Esken kommt eine undankbare Aufgabe zu. Wieder einmal hält die SPD-Co-Chefin als Blitzableiter her, stellt sich stellvertretend dem geballten Unmut der Jusos – was ihr vom Nachwuchs durchaus angerechnet wird. Schon beim Juso-Bundeskongress im vergangenen Jahr hatte sie Scholz Politik verteidigt, seinerzeit die Verschärfungen in der Migrationspolitik. Nun muss Esken den Kanzler selbst verteidigen, seine Kandidatur geradezu rechtfertigen.

Der sei „regierungserfahren“, „sturmerprobt“, „mit allen Wassern gewaschen“, argumentiert Esken. Phrasen, die hier kaum verfangen. Ebenso wenig das Argument, dass sich Scholz nicht vor Verantwortung gedrückt habe, wie beispielsweise die FDP. In Krisen habe der Kanzler nicht nur geredet, sondern auch gehandelt, sagt die SPD-Chefin. Er sei der „richtige Mann an der Spitze“, um einen CDU-Kanzler Friedrich Merz zu verhindern. „Wir sind unsere größte Kraft und es ist jetzt genau an der Zeit, diese Kraft zu mobilisieren.“ 

Doch mobilisiert es auch die Jusos? Für die Mutterpartei könnte diese Frage im anlaufenden Winterwahlkampf noch zum Problem werden. Mehr als 70.000 Mitglieder zählt die Nachwuchsorganisation, rund ein Viertel der Bundestagsabgeordneten sind Jusos. Ziehen sie nicht mit, dürfte die Operation Olaf kläglich scheitern. 

Der Kühnert-Moment

Philipp Türmer, der Juso-Chef, bringt es auf diese Formel: „Geschlossenheit, die aus Alternativlosigkeit entsteht, ist nicht unbedingt eine starke Geschlossenheit.“ 

Auch wenn die Personaldebatte vorbei sei, brauche es jetzt eine klare Wahlkampfstrategie, fordert Türmer. „Da muss jetzt eine Veränderung in der Tonalität und auch in der Programmatik erfolgen“, das Ruder einmal „komplett“ herumgerissen werden. „Hier sitzen 500 Jusos, die wollen, dass es auch in Zukunft eine starke Sozialdemokratie gibt, die dieses Land gestaltet!“, ruft er unter tosendem Applaus. „Macht jetzt alles dafür, dass die SPD weiter existiert als starke Partei in diesem Land – das fordern wir von euch ein!“ 

Scholz-Pistorius-Komm 23.30 Uhr

Man hat unweigerlich Kevin Kühnert im Ohr, einst Juso-Chef und ehemaliger SPD-Generalsekretär. Der hatte 2018 auf seiner No-GroKo-Mission von der Parteiführung eingefordert, dass „von diesem Laden“ noch etwas übrigbleiben müsse. „Verdammt nochmal!“ Die SPD hätte es damals beinahe zerrissen. Auch heute erscheint die Lage der Sozialdemokraten wieder ernst, aktuell rangiert man bei kümmerlichen 14 bis 15 Umfrageprozent. Doch wieder GroKo, als Juniorpartnerin der Union? Ein Hauch von 2018 liegt in der Luft.

Die Botschaft scheint bei Esken, die mit tatkräftiger Unterstützung der Jusos einst zur SPD-Chefin wurde, angekommen zu sein; der tiefsitzende Ärger einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Sie hält keine Gegenrede auf die vielen Wutreden, obwohl sie die Möglichkeit dazu hatte. 

Reißt sich die SPD zusammen?

Selbst Hubertus Heil blieb nicht verschont, er hatte am Samstagmorgen das erste Grußwort der SPD-Prominenz gehalten. Der beliebte Arbeitsminister und stellvertretende Parteivorsitzende, der hier liebevoll „Hubi“ genannt wird, weiß eigentlich, welche Knöpfe er bei den Jusos drücken muss. Schließlich war er selbst mal einer. Aber selbst ihm fliegen die Juso-Herzen im Moment nicht zu. Dabei ist er im Grunde genommen auf ihrer Seite.

„Wenn man Verantwortung trägt, dann muss Klarheit da sein“, beklagt Heil, der damit auch die tagelange Hängepartie in der Kanzlerkandidaten-Frage meint. Die vergangenen Tage seien nicht glücklich gewesen. Er selbst habe darunter gelitten, dass sich die SPD mit sich selbst beschäftigt habe, statt mit den Themen der Bürgerinnen und Bürger. Die SPD dürfe „keine Selbsthilfegruppe“ sein, meint er. 

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil

Jedoch stehe die Konkurrenz schon auf dem Platz. Heils Appell: „Wir können diese Debatte noch wochenlang weiterführen. Oder wir können es so machen, dass wir den Kampf aufnehmen.“ Es gehe um viel, die SPD müsse sich „jetzt verdammt nochmal zusammenreißen“. 

Doch auch „Hubi“ kann die Kritik nicht zerstreuen. 

So beklagt Michelle Breustedt, Juso-Vorsitzende in Hessen-Süd, dass die Kanzlerkandidatur „nicht im stickigen Hinterzimmer“ ersonnen werden dürfe, sondern die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer auch mit einbezogen werden müssten. Diese würden schließlich in Eiseskälte die Plakate aufhängen. Darauf hebt auch Maybrit Venzke aus Schleswig-Holstein ab: Vielleicht werde sie manche Flyer umdrehen, wenn Olaf darauf zu sehen sei.

Deutlich weniger zurückhaltend zeigt Juso Jan Knes-Wiersma aus Nordrhein-Westfalen: „Lieber Olaf, die Unterstützung der Jusos für Deinen Wahlkampf ist nicht gottgegeben“, ruft er in lautstarken Applaus rein. „Fass‘ mal Gras an, wach‘ endlich auf aus Deiner Illusion, dass alle in der SPD geschlossen hinter Dir und deinen politischen Irrfahrten stehen!“ 

In anderen Worten: Der Kanzler muss liefern, die SPD-Führung auch – damit noch etwas übrig bleibt von diesem Laden.