Annalena Baerbock wirbt im Senegal und der Elfenbeinküste für Demokratie und internationale Kooperation. Die Reise der Außenministerin steckt voller Botschaften an die Heimat.
Die Luft über den Straßen von Dakar, der Hauptstadt des Senegal, ist drückend heiß, als die Frau, die nicht mehr Bundeskanzlerin werden möchte, an der Haltestelle „Dalal Jamm“ aus dem Bus steigt. Annalena Baerbock, erst eine gute Stunde im Land, lächelt trotzdem tapfer in die Kameras. „Der Energie und dem Trubel auf den Straßen von Dakar kann man sich kaum entziehen“, wird sie ein paar Stunden später sagen.
Keine Woche ist vergangen, seit Deutschlands Chefdiplomatin auf der anderen Seite des Atlantiks überraschend Schlagzeilen gemacht hat. Per Interview im US-Sender CNN meldete sie sich aus dem parteiinternen Wettstreit mit ihrem Dauer-Konkurrenten Robert Habeck um die Kanzlerkandidatur der Grünen 2025 ab. Statt noch einmal ins Rennen zu gehen, wolle sie ihre Kraft voll ihrer „staatspolitischen Verantwortung als Außenministerin“ widmen.
Baerbock in Israel 12.41Und so wirkt diese nächste Reise, obschon lange vor dem CNN-Auftritt geplant, ein Stück weit, als wolle Baerbock umgehend den Beweis antreten: Ich meine es ernst. Gibt es noch andere Beweggründe für ihre Entscheidung? Warum die Verkündung fern der Heimat? Solche Fragen schiebt die Außenministerin unterwegs in Westafrika weg. Sie hat hier wichtigere Themen. Das Pensum ist straff.
Annalena Baerbock besucht Senegal und Elfenbeinküste
Binnen nicht ganz 48 Stunden besucht Annalena Baerbock neben dem Senegal auch noch die Elfenbeinküste, drei Flugstunden weiter südöstlich. Programmpunkte, neben den Treffen mit lokalen Entscheidungsträgern: Besuch eines Nahverkehrsprojekts mit Elektro-Schnell-Bussen für Dakar, finanziert mit EU-Geld, ausgestattet mit IT-Knowhow made in Germany; Rede beim Richtfest des neuen Goethe-Instituts in der senegalesischen Hauptstadt; Überlandfahrt zu einem ivorischen Trainingszentrum für Anti-Terror-Einheiten, zu dessen Trägern Deutschland gehört.
Was Baerbock unterwegs sagt: „Entwicklungspolitik ist in diesen Zeiten in unserem ureigensten Sicherheits- und Wirtschaftsinteresse.“ Das wiederum klingt wie eine Botschaft an ihren Kabinettskollegen Christian Lindner. Mit dem Finanzminister hat sie monatelang um das künftige Budget ihres Hauses gerungen. „Dienen die Projekte deutschen Interessen?“, hatte Lindner gefragt, auch mit Blick auf die Ausgabenplanung des Auswärtigen Amts bei der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe.
Herkunftsländer Flüchtlinge Deutschland 2023 19.11
Kaum eine Weltgegend bietet derzeit mehr Gelegenheiten, solche Zweifel zu zerstreuen, als Westafrika. Demokratien sind hier zuletzt gefallen wie Dominosteine: Erst putschte das Militär in Mali, dann in Burkina-Faso, zuletzt in Niger. Inzwischen haben sich die drei Staaten zu einer antiwestlichen Allianz zusammengeschlossen. Mit tatkräftiger Unterstützung Russlands, teils ideologisch, teils mit Waffen und Wagner-Söldnern.
Flucht nach Europa
Islamistische Terroristen sind in der gesamten Sahel-Zone auf dem Vormarsch. Über 11.000 Menschen haben sie in der Region allein 2023 getötet, nirgendwo sonst auf der Welt ist die Bedrohung so spürbar. Derweil nimmt die Zahl der Menschen stetig zu, die vor Krieg und Chancenlosigkeit von hier aus Richtung Kanarische Inseln und EU fliehen.
Allein zwischen Januar und April registrierten die spanischen Behörden über 15.000 Ankünfte auf den Kanaren, fast genau so viele wie im gleichen Zeitraum über die zentrale und östliche Mittelmeerroute nach Europa kamen. Und das, obwohl die West-Route über den offenen Atlantik noch viel gefährlicher ist. 89 Leichen wurden nach einer Havarie vor wenigen Tagen an der Küste Mauretaniens geborgen. An Bord des Boots sollen 170 Menschen gewesen sein, sagten Überlebende.
Baerbock DC 06.11Die Menschen und Regierungen im Senegal und der Elfenbeinküste fürchten, selbst in diesen Strudel des Zerfalls zu geraten. Die deutsche Außenministerin teilt diese Sorge. „Der Sahel“, sagt sie, „liegt nun mal in unserer direkten Nachbarschaft. Die Probleme betreffen uns unmittelbar.“ Darum will sie „die verbliebenen Spielräume“ nutzen.
Demonstrationen im Senegal gegen Wahlverschiebung
Und die verändern sich selbst im traditionell westlich orientierten Senegal. Im Frühjahr wurde das Land von Demonstrationen erschüttert, als der alte Präsident die eigentlich anstehenden Wahlen kurzerhand verschieben wollte. Auf Druck der Straße fanden sie schließlich doch statt. Und brachten eine neue Elite junger, in Staatsdingen weitgehend unerfahrener Volkshelden an die Macht, die nun mit riesigen Erwartungen aus dem Volk konfrontiert sind. Der neue Präsident und sein Premierminister saßen wenige Tage, bevor sie ihre Ämter antraten, beide noch im Gefängnis.
Annalena Baerbock ist als erste EU-Außenministerin nach Dakar gereist – um das Kooperationsinteresse Deutschlands zu unterstreichen. Aber auch, um klarzumachen, dass Deutschland im Gegenzug Erwartungen an seine westafrikanischen Partner hat. „Die Demokratie in Senegal hat gezeigt, wie stark sie ist“, sagt sie im Schatten eines gewaltigen Baobab-Baums im Innenhof des neuen Goethe-Instituts Dakar, das – noch im Rohbau – im Mai 2025 eröffnen soll. „Diesen Weg wollen wir unterstützen. Das machen wir am besten, indem wir Angebote zur Zusammenarbeit machen, von denen beide Seiten profitieren.“
Andere sind Baerbock in Westafrika zuvorgekommen
Außenpolitik nach dem Win-Win-Prinzip: Das scheint das neue Credo der deutschen Chefdiplomatin. Die Krux an der Sache: Genau danach handeln auch andere längst und in deutlich größerem Stil als Deutschland. Die neuen Elektrobusse, die dank Funding von Weltbank und EU durch Dakar rollen, stammen aus China. Den Strom in ihren Batterien produzieren Kraftwerke aus türkischer Produktion. Und das überwiegend aus fossilen Brennstroffen. Bis 2030, so der Plan, sollen aber vierzig Prozent des senegalesischen Energie-Bedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Auch dabei hilft Europa. Aus wirtschaftlichem Interesse genauso wie aus strategischer Notwendigkeit.
Annalena Baerbock will in Brasilien eine Chance nutzen – doch die könnte bald wieder vorüber sein 11.42Annelena Baerbock ist auch in Dakar, weil sie sich ein Bild davon zu machen, wo der neue Präsident Bassirou Diomaye Faye geopolitisch steht. In einem Interview mit „Le Monde“ hat der 44-Jährige kürzlich eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Russland nicht ausgeschlossen. Wenige Tage vor der deutschen Delegation war der russische Vize-Außenminister im Land.
Partnerschaft, so Baerbocks Botschaft, setze die gegenseitige Bereitschaft voraus, „sich in die Schuhe des anderen zu stellen. Das ist etwas, das wir gern tun wollen mit Blick auf unsere Nachbarn hier in Afrika“, sagt sie. Aber auch: „Dazu würde ich gern einladen mit Blick auf den Krieg Russlands in Europa.“ Wie sehr sie mit dieser Botschaft bei der neuen Regierung durchdringt, bleibt allerdings vage.
Was eine Enttäuschung sein muss, hatte doch gerade Deutschland sich während der Krise im Frühjahr dafür stark gemacht, dass im Senegal die demokratischen Spielregeln eingehalten werden. Fragen deutscher Journalisten wollen weder Präsident Faye, noch seine Außenministerin, noch andere Offizielle, die Baerbock trifft, beantworten.
Sturm auf ein Terroristen-Versteck
Tags darauf hallen im Hinterland der ivorischen Küstenmetropole Abidjan Schüsse und Explosionen durch den Dschungel. Zum Besuch der Ministerin aus Deutschland simulieren vermummte Spezialeinheiten den Sturm auf ein Terroristen-Versteck in einem nachgebauten Sahel-Dorf. Zu Ehren des Gasts aus Deutschland hat der Kommandant die Übung „Operation Trampolin“ getauft. Baerbocks sportliche Vergangenheit hat sich bis nach Afrika herumgesprochen.
Über holprige Pisten sind sie und ihr Tross direkt vom Flughafen über eine Autostunde zur „Internationalen Akademie für Terrorismusbekämpfung“ gefahren. Deutschland bezuschusst das Trainingszentrum für zivile und militärische Spezialeinheiten mit 2,5 Millionen Euro. Westafrikanische Kräfte trainieren hier Seite an Seite mit Spezialisten aus Frankreich und den USA. Auch die GSG-9 trainiert regelmäßig hier.
Die Regierungen des Senegal und der Elfenbeinküste hätten großes Interesse an der Kooperation mit Deutschland auf den Feldern Grenzschutz und vernetzte Sicherheit, berichtet die Ministerin von ihren Gesprächen in beiden Ländern.
Am heutigen Mittwoch steht in Berlin die Abstimmung über die Kabinettsvorlage für den Bundeshaushalt 2025 an. Um die nicht zu verpassen, hat Baerbock einen ursprünglich geplanten, dritten Stop in Mauretanien von ihrer Reiseroute gestrichen. Genug gute Argumente gegen allzu starke Einschnitte in ihr Ministerial-Budget hat sie schon nach zwei Tagen in Westafrika im Gepäck.