Die Nationalmannschaft verzaubert Deutschland. Katrin Göring-Eckardt wollte das für sich ausnutzen. Doch das geriet zur Blamage – nicht nur für sie selbst.

Fußball ist unberechenbar. Umso schöner, dass uns die Größen des Sports doch ein paar Gesetze gelehrt haben: Der Ball ist rund (Weltmeistertrainer Sepp Herberger). Das Spiel dauert 90 Minuten (auch Herberger). Und am Ende gewinnen immer die Deutschen (England-Legende Gary Lineker).  

Die Europameisterschaft scheint ein weiteres Gesetz hervorzubringen: Wenn deutsche Politiker Fußball für ihre Zwecke instrumentalisieren, wird’s peinlich.

Deutschland führte gerade 1:0 gegen Ungarn, als sich Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) auf der Plattform X zu Wort meldete: „Diese Mannschaft ist wirklich großartig. Stellt euch kurz vor, da wären nur weiße deutsche Spieler.“  

Ein erwartbarer Shitstorm für Göring-Eckardt

Der darauffolgende Shitstorm erinnerte in seiner Erwartbarkeit fast schon an ein verlorenes Elfmeterschießen der Engländer. Aus der rechten Ecke wurde Göring-Eckardt sofort „Rassismus gegen Weiße“ vorgeworfen. Mit ihrem Tweet unterstelle sie, dass Spieler ohne erkennbaren Migrationshintergrund nicht gut spielen könnten, so der Vorwurf. Aber auch im linken Lager kam die Anmerkung der Grünen-Politikerin nicht gut an. Dort verübelte man ihr, dass sie die Hautfarbe überhaupt zum Thema machte.

Ausgerechnet Wolfgang Kubicki (FDP), als Bundestagsvizepräsident direkter Kollege von Göring-Eckardt, wollte die Vorlage nicht ungenutzt lassen. „Ich finde es wirklich bedenklich, wenn Menschen in Deutschland nach ihrer Hautfarbe bewertet werden“, schrieb er auf X.

Kurz vorher hatte er selbst noch versucht, politisches Kapital aus der EM zu schlagen. „Der VIP-Bereich fest in sozialdemokratischer Hand. Ich geh es bodenständiger an, Kollege Lauterbach“, lästerte er auf dem Kurznachrichtendienst gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der sich seinerseits in Stuttgart im Stadion neben Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (beide auch SPD) in Szene setzte. Dazu stellte Kubicki ein Selfie von sich beim Fußballgucken im schlichten Gartenzelt mit Bierglas. Der Liberale, ein Mann des Volkes, das war die Botschaft.

Deutsche Politiker und der Fußball – in der Vergangenheit ging das oft gut. Die Kabinenbesuche von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach großen Siegen der DFB-Elf waren Kult. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder reiste 2002 mitten im Bundestagswahlkampf zum WM-Finale nach Yokohama. Die Deutschen verloren zwar das Spiel, doch Schröder gewann die Wahl. Das mag nicht allein an der WM gelegen haben, aber auch daran, dass Schröder in seiner Politik oft authentisch wirkte. Auch in seiner Fußballleidenschaft.

Projektionsfläche für Rechtsradikale

Anders als Göring-Eckardt und Kubicki luden Merkel und Schröder ihre Profilierungsversuche nicht ideologisch auf. Doch seit der Farce um die „One Love“-Binde bei der WM 2022 wird die Nationalmannschaft immer wieder in politische Grabenkämpfe gezogen. Mit der bunten Kapitänsbinde wollte die Nationalelf damals ein Zeichen gegen Homophobie setzen. Doch die FIFA verbot ihr das Tragen – aus Rücksicht auf Gastgeber Katar. 

Vor allem Rechtsradikale missbrauchen sie als Projektionsfläche. Der AfD-Europapolitiker Maximilian Krah beschimpfte die Nationalspieler in einem TikTok-Video kürzlich als „politisch korrekte Söldnertruppe“, die „keine Nationalmannschaft“ sein wolle.  

Die „One Love“-Kapitänsbinde wurde bei der WM 2022 in Katar zum Politikum

Dazu kommt: Die Ampel ist so unbeliebt wie noch nie. In dieser Gemengelage hielt es Göring-Eckardt für sinnvoll, selbst Haltung zu beziehen. Das war freilich vor allem eine Botschaft ans eigene Lager. Doch die war nicht nur verunglückt, sondern auch noch überflüssig. Wer jetzt noch nicht verstanden hat, dass nicht-weiße Nationalspieler genauso selbstverständlich sind wie weiße, wird es nämlich nie lernen. Schon gar nicht von einer Grünen-Politikerin.

Katrin Göring-Eckardt hätte sich ihren Kommentar sparen können. Auch, weil sich Bundestrainer Julian Nagelsmann und Vize-Kapitän Joshua Kimmich längst klar gegen Rassismus positioniert hatten. Und wie sagte Jonathan Tah jüngst so schön: „Wir sind Müller, aber wir sind auch Tah und Gündoğan.“ All das zeigt, dass die deutsche Nationalmannschaft keine Politiker braucht, die über sie sprechen. Und auch die Deutschen brauchen niemanden, der ihnen die Nationalmannschaft erklärt.

Denn die erklärt sich längst selbst.